Ein Golem aus Plastilin geistert durch die Salzburger Festspiele

SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE '1927. GOLEM'
SALZBURGER FESTSPIELE 2014: FOTOPROBE '1927. GOLEM'APA/BARBARA GINDL
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Suzanne Andrade und Paul Barritt bezaubern bei der Uraufführung von „Golem“. Die kurzweilige, animierte Show der Gruppe 1927 arbeitet aber auch mit dem Holzhammer.

Muss man sich vor einem Golem fürchten? Immerhin ist diese unheimliche Gestalt, die Rabbi Löw in sagenhafter Zeit in Prag aus Lehm geschaffen haben soll, damit sie ihm am Sabbat die Arbeit verrichtet, etwas unheimlich. Das Wunderwesen gerät außer Kontrolle wie der Besen in Goethes „Zauberlehrling“. In Salzburg aber flößt der „Golem“ als technologiekritische Warnung kaum Angst ein, sondern ist eine Mischung aus lakonischem Butler und Aufräumer mit Putzfimmel-Terror, an einem kurzweiligen Abend von 90 Minuten, der bei der Uraufführung am Freitag in Salzburg fröhlich beklatscht wurde.

Bei der letzten Schauspielpremiere der Salzburger Festspiele in diesem Jahr führte Suzanne Andrade Regie. Die schottische Mitbegründerin der Gruppe 1927 schrieb auch den Text, der an Motive von Gustav Meyrinks Roman aus dem Jahr 1915 anknüpft. Ihr Ko-Direktor, Paul Barritt aus Wales, steuerte für diese Ko-Produktion mit dem Young Vic in London und dem Théâtre de la Ville in Paris Film, Animation und Design bei. Seine das Drama ausschmückenden Trickelemente dominieren auch bei der Befriedigung juveniler Schaulust.

Vor einer großen Leinwand agieren die Darsteller wie im Stummfilm. Ben Whitehead verleiht dem Golem die Stimme, Andrade steuert weitere bei. Die flotte Musik ist wesentlich – links ein Schlagzeug, rechts ein Piano, vor der Filmkulisse treten die Protagonisten auf der Stelle, während hinter ihnen Häuserzeilen wie aus einer schäbigen Londoner Vorstadt vorbeigezogen werden, wo die Trickfigur des Golem Purzelbäume schlägt, dominanter wird beim Eindringen in Wohnung und Arbeitsplatz.


Patchwork und Anarchie.
Wer aber schafft sich denn heute so einen Golem an? Hier ist es eine anarchistisch anmutende Patchworkfamilie. Der triste, junge Held Robert und seine erzählende Schwester basteln seit 15Jahren an einem Song ihrer Punkband. Sie wohnen noch bei der Oma, die ständig strickt. Sind sie Versager, Leistungsverweigerer? Jedenfalls scheinen sie fast zufrieden in ihrer Schönen Neuen Welt, wenn sie im Pig and Pistoleer chillen. Robert findet Arbeit in einem Büro, das Back-ups von Back-ups macht. Dort entspinnt sich eine Romanze mit der völlig ambitionslosen Joy, deren Aufgabe im Bleistiftspitzen besteht. Robert flüchtet aus der Routine, indem er sich von seinem genialen Schulfreund Phil einen Golem andrehen lässt. Dieser verrichtet nun die Arbeit, entwickelt bald ein Eigenleben. Das Traumwesen spricht. Spätestens in der Version Golem 2 drehen sich die Machtverhältnisse um. Menschen werden nun von Technik manipuliert – Fließband, Massenproduktion, Konsum. Nicht nur Schuhe, sondern sogar die Frauen sucht der Golem für Robert aus, und die Oma verschwindet in einer irren Strickmaschine.

Die Botschaften der melodiösen, irrwitzigen Show entsprechen ihren Mitteln: Leute, lasst euch nicht verführen von Werbung, die bequemen Fortschritt verspricht, aber unweigerlich ins Hamsterrad zwingt! Wenn Esme Appelton, Will Close, Lillian Henley (Musik), Rose Robinson und Shamira Turner sich von dieser Figur zunehmend beherrschen lassen, die erst aus Plastilin besteht, dann ein fetziger gelber Cartoon wird, wirkt das lustig. Am Ende sieht Robin selbst wie ein Golem 2 aus. Bald wird die Gesellschaft wohl das noch abstraktere Ebenbild von Golem 3 sein. Die Aufführung ist frisch, doch ihre Methode eine mit dem Holzhammer. Ihre Animation erinnert an jene in Sketches von Monty Python, wenn auch der Humor nicht so bissig wirkt. Manisches Augenzwinkern begleitet hier die Entfremdung.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.08.2014)

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