"Freier Fall": Die Liebe im Feuer der Apokalypse

(c) APA (Hans Klaus Techt)
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Akademietheater. Uraufführung von Gert Jonkes „Freier Fall“: Großes Welttheater, herrlich, fantastisch. Markus Hering stemmt bravourös den gewaltigen Text-Block.

Epsilon, wann fliegen wir zum Sirius? Weißer Russ, schwarzer Schnee. Kochender See als Karpfensuppe. Fahrenheits feuerfestes Fieberthermometer: Zum dritten Mal zeigt die Burg eine Jonke-Uraufführung: „Freier Fall“ ist die Geschichte eines Zeit-Reisenden. Immer von Neuem wiedergeboren, beendet er sein Leben durch Selbstmord. Erich heißt der Mann. In der Gegenwart hat er schließlich Zuflucht in einer Art geschützten Werkstätte für Künstler gefunden: Dieser „Stadtteil für geistige Erweiterung“ wurde von einem Mäzen finanziert und liegt im Wiener Wald...

In der Psychiatrie, wo Erich zuvor war, hat er die Ärzte gegen sich aufgebracht, weil er Selbstmörder auf eigene Faust heilte, indem er für seine Lieblings-Methode des Freitodes warb: Das Plastiksackerl. Indem er die Suizidalen mit der Möglichkeit dieses „leichten“ Todes konfrontierte, befreite er sie von ihrer Besessenheit Schluss zu machen und zeigte ihnen Wege, sich auf anderes zu konzentrieren. Der Primar schmiss Erich trotzdem raus, nachdem er beim Probieren der Plastiksackerl-Methode in Panik geraten war. Danach arbeitete Erich bei der Telefon-Seelsorge. Auch im Kunstzentrum, wo er jetzt lebt, wird er gelegentlich als Retter angefragt. Zum Beispiel muss er einen Selbstmörder vom Donauturm holen...

Wer Jonke ein bisschen kennt, weiß nicht, ob er bei seinen Geschichten, die auch immer schonungslos das Künstler-Elend schildern, lachen oder weinen soll. Die Uraufführung im Akademietheater ist über alle Maßen hinreißend. So ein Kritiker sitzt ja, speziell zu dieser Jahreszeit, recht viel im Theater – doch selten erlebt er so eine Sternstunde. Dabei fiel Christiane Pohles Inszenierung eher glättend und pragmatisch aus. Man verzeiht es ihr, weil Jonkes Text wieder einmal darauf angelegt ist, die Grenzen der Special Effects zu testen, mit Waldbrand, Feuerwerk, Löschhubschraubern. Die Pyrotechnik hat sich angestrengt: Als Erich seine Installation sprengen will – er will sein Lebenswerk vernichten wie viele Künstler – schwebt ein alter Küchen-Stuhl, von Silvesterraketen angetrieben, zischend in den Bühnen-Himmel, von wo er am Ende der Aufführung krachend herab stürzt.

Scheuer Dichter im Jubel

Wie Handke, Bernhard, Jelinek schreibt Jonke eigentlich Monologe. In musikalischen Eruptionen wird die Apokalypse beschworen. Die Texte sind nicht weit entfernt von der Realität, obwohl die Prophezeiungen höchst fantastisch wirken. Die Liebe ist bei Jonke ganz handfest und herzlich, die Humanität, die sich hier verströmt, überdauert den Weltuntergang, auch in „Freier Fall“.

Markus Hering, der bereits in den anderen Jonke-Aufführungen des Burgtheaters („Chorfantasie“, „Die versunkene Kathedrale“) gespielt hat, erfüllt den gewaltigen Text mit Leben und Energie. Wenn man die sich auftürmenden Wortkaskaden liest, weiß man erst, was das für eine gewaltige, auch physische Leistung ist. Sie ist umso eindrucksvoller als Hering keine Minute sinnlos brüllt, tobt oder sonst wie Aufmerksamkeit heischt. Er ist einfach ein überragender Schauspieler. Libgart Schwarz ist seine Geliebte. Vom Alter her passt das nicht, aber was an Jugendfrische fehlt, wird vollauf aufgewogen durch das liebevolle Wesen dieser „Siedu“ (Sie, Du). Es ist eine der schönsten Szenen dieses an optischen und verbalen Sensationen reichen Abends, wenn die zwei einander Jonkes Lyrik von ihren nackten Körpern vorlesen. Johannes Krisch gibt den skurrilen Stichwortgeber Bertl, Branko Samarovski einen Bestattungsunternehmer, der Begräbnisse zu Theatervorstellungen umfunktioniert, Adina Vetter ist eine passend schrille Göre. Sven Dolinski und Gerrit Jansen spielen die Butler-Zwillinge, Schauspieler, Service-Personal und Brandstifter.

Michael Masula hat sich das köstliche Kauderwelsch („Kuttla tschutsch!“) des Anführers der Soldatentruppe glänzend anverwandelt. Die Soldaten erobern am Ende die Welt und das Kunst-Reich. Die Liebenden aber flüchten – ins Publikum, das den scheuen Dichter ganz besonders heftig bejubelte und gar nicht heimgehen wollte.

SPÄTZÜNDER GERT JONKE

Als Schriftsteller ist der 62-Jährige seit Ende der Sechziger berühmt, das Volkstheater spielte ab 1990 seine Stücke. 14 sind es mittlerweile. „Freier Fall“: 26., 30. Mai, sowie 1., 4. Juni ? 51444/4140

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.05.2008)

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