Andreas Beck: "Ich bin überall fremd, das ist gut!"

(c) Clemens Fabry
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Andreas Beck übernimmt nach fast acht Jahren Intendanz in der Porzellangasse das Basler Theater. Mit der "Presse" sprach er über Krisen im Schauspiel und die Lust an der Oper.

Ich bin Rheinländer und daher ein hoffnungsloser Optimist. Ich schaffe es immer, die Dinge schön zu machen. Das ist auch eine Gabe. Selbst einer vertrackten Situation kann ich immer noch etwas Positives abgewinnen.“

Wenn man Andreas Beck so anschaut, würde man ihn eher für einen notorischen Kulturpessimisten halten, mit seiner Brille, der strengen Miene. Nach 15 Jahren in Wien, zuerst am Burgtheater unter Direktor Nikolaus Bachler, danach am Schauspielhaus, verlässt der Sohn eines Betriebsdirektors bei Daimler-Benz, der schon mit sechs Jahren am Kärntner Weißensee Urlaub gemacht hat, die Stadt. Er übernimmt das Basler Theater, ein Mehrspartenhaus, das für seine Avantgarde-Freundlichkeit bekannt ist. Beck wird Intendant und auch für das Schauspiel verantwortlich sein, das, wie er formuliert, „derzeit nicht so fluffig läuft“.

Warum nicht? Gibt es nicht allenthalben mal wieder eine leichte Krise im Schauspiel? „Ich finde, das Schauspiel richtet sich zu sehr nach dem, was die Künstler an Themen gerne auf die Bühne bringen wollen, und befasst sich viel zu wenig mit den großen, kantigen, problematischen Stoffen“, so Beck.

Der Theaterkanon ist zu klein

Man sieht ständig bestimmte Klassiker oder Klassiker der Moderne, von „Romeo und Julia“ bis „Geschichten aus dem Wiener Wald“, viele andere Stücke aus dem Kanon sind verschwunden. Beck: „Stimmt. Früher gab es ein schönes, ungeschriebenes Gesetz: Wenn ein Stück an einem Theater gezeigt wurde, durften die anderen es fünf bis sieben Jahre nicht spielen. Das interessiert heute niemanden mehr, und das finde ich falsch. Wenn wir auf 2500 Jahre dramatische Literatur zurückschauen, gibt es 30 bis 50 Stücke, die wir noch sehen.“

Die Oper hingegen, die Ende der 1960er-Jahre als sterbende Gattung galt, habe sich dem neueren Repertoire zugewandt – mit Erfolg. Beck: „Janáček, Dvořák, Mussorgsky galten früher als Gift für die Kasse. Heute sieht man, dass die Oper als Gesamtkunstwerk dank der Musik, des fantastischen und surrealen Moments die Leute begeistert. Die Menschen wissen weniger, sind daher auch unvoreingenommen und schauen sich alles an. Bei Kleists ,Hermannsschlacht‘ hingegen fragen sie: Was hat das mit unserer Lebensrealität zu tun? Gegenwartsstücke, das Projekthafte, das Performative läuft gut. Diese Probleme, Diskrepanzen sind immer neu zu knacken.“ Acht Jahre lang hat Beck das Schauspielhaus mit aktueller Literatur bespielt, heuer gibt es wieder Uraufführungen, Auftragswerke, etwa ab 2.10. „Sinfonie des sonnigen Tages“ von Anja Hilling mit Musik der Elektro-Gruppe Mouse on Mars; eine Verbrecher-Ballade über den Wiener „Robin Hood“ Johnny Breitwieser von Thomas Arzt oder Anna Habermehls Bearbeitung von Marie von Ebner-Eschenbachs Roman „Das Gemeindekind“ mit Musik von Gerald Resch. Das Schauspielhaus hängt sich also an den Musiktheater-Boom dran, passend dazu lautet das Motto „Da capo al fine.“ Die Besucherzahl ist in Becks Zeit von 19.000 auf 25.000 gestiegen.

„Das Gemeindekind“ über zwei elternlose Kinder befasst sich mit der Frage, ob das Sein, wie Marx glaubte, das Bewusstsein bestimme oder umgekehrt. Was denkt Beck? „Wir modernen Menschen müssen stärker in die Welt tragen, dass wir unsere Umstände auch selber kreieren. Derzeit verwalten wir uns und haben Angst, dass es schlechter wird. Daher nehmen wir Missstände als gottgegeben hin. Ich finde, man muss dafür kämpfen, dass sich bestimmte Formen des Seins ändern.“

„Ich möchte nichts besitzen“

Fühlt er sich nach der langen Zeit in Wien heimisch? Beck: „Ich bin immer ein Fremder geblieben und ich finde das gut. Es ist mir überall so ergangen, wo ich war, in Hamburg, Stuttgart, Frankfurt, München, Köln. Im Schauspielhaus, in meiner Wohnung, bei mir selbst bin ich zu Hause, aber nicht in einer Stadt. Ich widme mich ihrer Geschichte, ihren Vorzügen und Nachteilen, aber letztlich kann es niemals meine Stadt werden. Ich fühle mich aber nicht ausgestoßen oder unangenehm. Ich möchte ja auch nichts besitzen, ich kaufe nichts, ich miete, ich wohne im Hotel. Einer meiner Vorgänger hier, George Tabori, hat gesagt: Theaterleute sind immer fremd.“

„Unsere Gesellschaft ist stärker theatralisch durchdrungen als wir es uns eingestehen. Man sollte Verdienst und Verdienen nicht miteinander verwechseln und nicht, was an einem Menschen privat und beruflich geschätzt wird. Ich trenne das. Im Sommer, wenn ich meine Freunde treffe, die ich teilweise seit meinen Kindertagen kenne, da blühe ich auf und albere herum. Aber hier weiß ich doch nie, welche Aufmerksamkeit gilt mir und welche meiner Position. Das ist aber okay.“ Beck sieht sich weder als „streitbare Figur“ noch als sophisticated. Wichtig sei ihm gewesen, das Schauspielhaus nicht als „Befindlichkeitsgarten“ einzelner zu positionieren, sondern als internationale Marke, jede Spielzeit „als Strecke, als Kette, die auch erkennbar ist“ – und „mit einem Schuss positiver Utopie am Schluss“.

ZUR PERSON



Andreas Beck wurde 1965 in Mülheim an der Ruhr geboren. Er studierte Soziologie, Kunstgeschichte, Theaterwissenschaft in Bologna und München. 1991/92 war er erstmals am Burgtheater, danach freier Regisseur sowie Dramaturg am Bayerischen Staatsschauspiel München. Beck profilierte sich als Kurator für neue Texte. Er übersetzt – und lehrt in Wien an der Angewandten. 2002 bis 2007 war er Dramaturg am Burgtheater. [ Christine Pichler ]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.09.2014)

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