Volkstheater: Diese „Vögel“ folgen arglos bösen Führern

FOTOPROBE: ´DIE V�GEL´
FOTOPROBE: ´DIE V�GEL´(c) APA/HERBERT NEUBAUER (HERBERT NEUBAUER)
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Zur Saisoneröffnung macht Regisseur Thomas Schulte-Michels die 2428 Jahre alte Komödie des Aristophanes zu einer bitterbösen, schrillen, lauten Show. Das stark gekürzte Werk kommt aber erstaunlich gut zur Geltung.

Wie soll man sich Wolkenkuckucksheim vorstellen? Bei Aristophanes, der in Athen zur Zeit des Peloponnesischen Kriegs mit Komödien seriell Erfolge gefeiert hat, ist dieser Ort zwischen den Menschen auf Erden und den Göttern oben im Himmel angesiedelt. Im Stück „Ornithes“ kommen zwei dubiose Bürger, die nach schweren Vergehen aus der Stadt geflüchtet sind, zu den Vögeln und überreden sie, zwischen Himmel und Erde eine ummauerte Stadt zu bauen. Dort wollen Pisthetairos (Günter Franzmeier) und Euelpides (Till Firit) den Warenverkehr zwischen Menschen und Göttern blockieren, eine Zollschranke für Weiheopfer errichten. Die Aussicht auf hohen Gewinn überzeugt die arglosen Vögel bald von dem Projekt. Diese steinalte Utopie ist lebensnah – der Staat als Erpresser!

Was macht der deutsche Regisseur Thomas Schulte-Michels, dessen Version von „Die Vögel“ am Sonntag im Volkstheater Premiere hatte, aus solch einem Lehrstück böser Manipulation, politischer Verführung? Er setzt das Vogelreich auf eine steile, schwarze Treppe. Sie dient einer schrägen Modenschau. Unten aus dem Graben kommen die Menschen, von oben, wo der Himmel durch einen schwarzen Vorhang verdeckt ist, stoßen die Vögel herab, es steigen schließlich sogar verunsicherte Götter herunter.

Sarkasmus bedeutet Zerfleischen

Die simple Treppe ist inzwischen ein Markenzeichen von Schulte-Michels. Bei Gogols „Der Revisor“ hat er sie im Vorjahr im Volkstheater verwendet. Auch das war eine irre Show mit stark verkürztem Text, den er beherzt verändert hat. Und zuletzt wurden bei ihm „Die letzten Tage der Menschheit“ im selben Haus zur zugespitzten Tragikomödie, die in einer Nervenheilanstalt spielt.

Beim üppigen Text des Aristophanes kommt er ebenfalls mit rund 80 Minuten aus: Er wird kühn ins Zeitgemäße gebracht (mit Leihgaben von Brecht und Goethe – Patrick O. Beck zitiert „Prometheus“), das Bitterböse aber bleibt erhalten. Die flüchtigen Athener, die wie gruftige Dragqueens gekleidet sind, jammern über Emigranten, Schmarotzer, Kapitalisten. Der Aufstieg dieser Kreaturen ähnelt auch sonst denen der üblichen Populisten in aller Welt. Sie leben erst durch Diffamierung, Ausgrenzung, Terror auf. Zunächst aber müssen sie die Bosse der Vögel samt Volk vom Plan überzeugen: den Wiedehopf (Thomas Kamper), assistiert vom Marabu (Alexander Lhotzky). Gut 40 Exemplare an Federvieh hat Tanja Liebermann in fantasievolle Kostüme mit viel Leuchtfarbe gesteckt. Ein Vogel-Kantor (Patrick Lammer zeichnet für die Musik verantwortlich) führt die Schar an, Teresa Rotemberg choreografierte.

Der zuweilen ohrenbetäubende Gesang und komplexe Tänze von Wesen, die Love-Parade-Vögel oder Punks sind, tragen den Abend. Der gar nicht attische Chor gibt der Aufführung ganz klassisch eine Menge Energie. Die starken Protagonisten können hier enthemmt sarkastisch sein – das griechische Wort bedeutet ja Zerfleischen. Bald beginnen sie damit, Vögel zu schlachten. Man sieht, wie das Beil in den Graben saust, Wasser wie Blut spritzt. Aber gezeigt werden dann menschliche Glieder. Selbst die Götter beugen sich der Gewalt. Rainer Frieb, Erwin Ebenbauer und Haymon Maria Buttinger dürfen sich fast nackt, in Glitzerfetzen und mit langen, blonden Perücken austoben.

Solcher Slapstick, das Auftauchen anpassungswilliger Wahrsager, Verbrecher, Bürokraten, bereichert den knalligen Abend und sorgt zudem kurz für Erholung: Bei all dem Trommeln, Zirpen, Klingeln wird Zuhören nämlich stetig erschwert. Auch die Gangster aus Athen sowie der Wiedehopf und der Marabu kennen kein Maß. Am Schluss präsentieren sie triumphierend den Superblitz des Zeus. Man ahnt, dass mit Ende der Komödie dieses Stück nicht aus ist, sondern dem Vogelstaat die völlige Vernichtung droht.

ANSTURM AUF DAS VOLKSTHEATER

Vor 125 Jahren wurde das Wiener Volkstheater eröffnet. Zum Jubiläum gab es am Sonntag einen Tag der offenen Tür. Gut 3000 Besucher kamen, um auch einmal hinter die Kulissen blicken zu können. Am 14.September 1889 war als erstes Ludwig Anzengrubers Drama „Der Fleck auf der Ehr“ uraufgeführt worden. Dieser populäre Autor war Mitbegründer des Hauses. Es sollte ein bürgerliches Gegenstück zum kaiserlichen Hofburgtheater sein.

In der Roten Bar wurde beim Open House zum Jahrestag bei viel künstlerischer Prominenz ein Buch vorgestellt: „Was soll das Volk im Theater? – 125 Antworten aus 125 Jahren Volkstheater“ (Verlag Brandstätter, broschiert € 19, gebunden € 29,90).

Direktor Michael Schottenberg, der soeben seine zehnte und letzte Saison begann, zeigte sich von der Resonanz des Publikums überwältigt. Er wird Mitte 2015 von Anna Badora abgelöst – sie ist derzeit Intendantin des Schauspielhauses Graz.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.09.2014)

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