Turrini: Wilder von einst in mildem Licht

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ARCHIVBILD: PETER TURRINI(c) APA/GERT EGGENBERGER (GERT EGGENBERGER)
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Peter Turrini feiert seinen 70. Geburtstag. Für die Bühne, an der er zuletzt eine Heimat fand, schrieb er eine Uraufführung, die von ihm selbst handelt: „C'est la vie – eine Revue“, witzig und krass.

Nicht viel Neues bei Peter Turrini, aber wer schreibt, weiß, dass man auch immer dieselbe Geschichte anders und spannend erzählen kann: „C'est la vie – eine Revue“ hatte Mittwochabend im Theater in der Josefstadt Premiere. Die literarische Avantgarde der Nachkriegszeit, von Thomas Bernhard bis Elfriede Jelinek, ist in die Jahre gekommen, aber sie und ihre Fans können sich freuen, dass es gelungen ist, die einstmals beschimpften Dichter und Provokateure im öffentlichen Diskurs zu verankern. Sie sind geachtet, werden sogar geliebt.

Stephanie Mohr hat inszeniert, mit Bedacht und Respekt, was auch heißt: Sie hat sich nicht allzu viel getraut. In den Worten des Dichters findet das Extreme statt, weniger auf der Bühne, wo sich eine leicht betuliche Sprachoper ereignet. Schon die Geburt des Poeten P.T. ist eine Groteske: War's jetzt Nacht oder Tag, als er am 26.September 1944, also zum Ende des Zweiten Weltkriegs, im Krankenhaus Wolfsberg geboren wurde? Jeder erzählt etwas anderes – und der Vater erlebt, überlebt im Zug auf dem Weg ins Spital einen Angriff amerikanischer Tiefflieger.

Suche nach Liebe und nach Worten

Der Vater, Tischler, die Mutter, die drei Söhne aufzog und noch einen Halbbruder aus Italien: Gute Leute, die versuchten, ihre Sorgen vor den Kindern zu verbergen, waren das wohl, aber wann sind Eltern schon ideal? Der italienische Vater versteckt sich in seiner Werkstatt, die Mutter lächelt. Jung-Peter möchte ihren Leib erobern, dieser grelle Text geht wie manches Heftige unter. Im Alter träumt die Mutter davon, mit dem Sohn zu verreisen, aber sie begnügt sich mit Erzählungen von fernen Ländern. In diesen Elterngeschichten steckt viel Persönliches, aber auch viel „Wunschloses Unglück“, das die Älteren von uns mit ihren Eltern erlebten.

Heute wirkt so vieles leichter, heiterer, positiver, oder ist das eine Täuschung? Im vitalen, anarchischen Großvater aus Cerea in Venetien begegnet Peter Turrini seinem wahren Ahnen. Das Dorf, es war für die österreichische Literatur der Nachkriegszeit so wichtig, für Handke, Jonke, Gerhard Roth, auch Turrini richtet sich dort in seinem Hochstand – oder sollte man lieber sagen Gefechtsstand? – ein. Er stürzt sich ins Dichten und in die Liebe, im Freibad bohrt er ein Loch in die Kabinenwand, um eine nackte Frau zu sehen, die Frau, gemein, zieht erst das Kleid über, dann das Höschen aus, der Gatte erwischt den Spanner und verhaut ihn.

Als Barmann in Bibione verliebt sich P.T. in eine Deutsche, sie reist heim, er reist nach, will ausschauen wie ein zünftiger Latinlover. Doch harrt er zu lang unter der Höhensonne aus, verbrennt seine Augen. Liebe macht blind, darüber schreibt er später ein Gedicht, diese Blindheit ist ihm erwünscht. Vom exzentrischen Komponisten Gerhard Lampersberg, der auch H.C. Artmann und Bernhard gefördert hat – Turrinis Stück über diese Zeit „Bei Einbruch der Dunkelheit“ ist bald im Burgtheater zu sehen –, wird der Jung-Poet freundlich aufgenommen. Sein erstes Stück wird angenommen. Doch als „rozznjogd“ mit Franz Morak und Dolores Schmidinger 1971 im Volkstheater uraufgeführt wird, ist das Publikum entrüstet. Die Bürger lassen sich schrecken. Dem „Kärntner Orang Utan“ empfiehlt die Kritik, in seine Wälder zurückzukehren, ein Jahr später wird in München „Sauschlachten“ uraufgeführt: ein sich zerfleischendes Paar auf der Müllhalde, ein Außenseiter inmitten grausamer Dörfler – und dann auch noch die Alpensaga. Jetzt ist Peter Turrini berühmt.

Eulenspiegel, Faun, Polemiker

Mag sein Furor auch gelegentlich etwas antiquiert wirken, besser ist die Gesellschaft nicht geworden, seit Turrini „Liebe Mörder!“ rief. Inzwischen hat er auch Freuden, seine Liebe hat er in Silke Hassler gefunden, aber er hat auch neue Sorgen, die Gesundheit und den Tod. Auch davon ist die Rede auf die für Turrini typische monumentale Weise und mit schwarzem Humor: Was tun, wenn man vor Schmerzen nicht ein und aus weiß? Wenigstens noch ein Striptease der Geliebten, bevor das Auge bricht. Der Dichter, der sich am Schluss, nachdem er schattenhaft aus dem Lamettavorhang getreten war, feiern ließ, sah zum Glück sehr lebendig aus.

Hilde Dalik, Marcello De Nardo, Thomas Mraz, Erich Schleyer, Susanne Wiegand geben dem Berserker, in dem ein zarter Geist wohnt – das ist ein Klischee, vielleicht aber auch ein Teil der Wahrheit – ihre Stimme, ihr Spiel. Vorstellbar wäre diese Revue musikzentrierter, schriller – wie es der Clip auf YouTube, ein Rap in Neonfarben, verspricht. Aber auf diese bescheidene Weise und im wunderbar detailreich mit Requisiten der 1950er- und 1960er-Jahre bestückten Bühnenbild, ereignet sich das Drama des Turrini-Lebens dafür literarisch durch die Sprache. Peter Turrini, wortgewaltiger Eulenspiegel, Nestroy-Nachfahre, Mahner, Polemiker, Minnesänger, Faun: Alles Gute zum Geburtstag!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.09.2014)

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