Maria Bengtsson: "Wahnsinnig wird Elektra nicht wirklich"

(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Maria Bengtsson debütiert in der Premiere von Mozarts "Idomeneo" als Elektra an der Wiener Staatsoper. Die schwedische Sopranistin über die Psychowirren einer griechischen Mythengestalt und das moderne Opernleben.

Die Wiener Staatsoper bringt am kommenden Sonntag eine Neuinszenierung von Wolfgang Amadeus Mozarts „Idomeneo“ heraus. Kasper Holten, Intendant der Londoner Covent Garden Oper, führt Regie, Christoph Eschenbach dirigiert. Michael Schade gestaltet die Titelpartie. Die Elektra, eine der furiosesten Frauenrollen, die (nicht nur) von Mozart je komponiert wurde, singt Maria Bengtsson.

Die Schwedin ist in Wien nicht unbekannt. Sie hat sich nach ihrem Studium an der Volksoper ihre ersten Sporen verdient. Das war in den ersten drei Jahren des neuen Jahrtausends. Danach war sie Mitglied des Ensembles der Berliner Komischen Oper in der Ära von Kirill Petrenko.

Furioso vor der Babypause

Seither gastiert sie in vielen bedeutenden Opernhäuser von London bis Berlin, wo sie mit Mann und Kind sesshaft geworden ist. Der mittlerweile achtjährige Sohn freut sich übrigens auf eine Schwester. Sie wird in drei Monaten erwartet.

Für Maria Bengtsson sind die Wiener „Idomeneo“-Aufführungen die letzten Vorstellungen vor der erneuten Babypause. Die Figur, die sie darzustellen hat, steht symbolhaft für die völlige Absenz eines geregelten Familienlebens. „Die Elektra“, sagt Bengtsson, „kennen wir Opernfreunde ja von Richard Strauss. Er erzählt die Geschichte vor Idomeneo; und wir wissen, was diese Frau für seelischen Ballast mit sich herumschleppt.“

„Eben das wollen wir in der Wiener Produktion sichtbar machen. Elektra klammert sich an den Gedanken, dass der König sein Versprechen wahr macht und sie seinem Sohn zur Frau gibt.“

Als Kronprinzessin an der Seite des Idamantes will sie endlich Boden unter den Füßen bekommen. Regisseur Holten zeigt „Idomeneo“ als Geschichte eines Mannes, der bereit ist, über Leichen zu gehen, um seine Macht zu erhalten. An seinem Versprechen, den ersten Menschen zu opfern, der ihm an Land begegnet, wenn Poseidon ihn vor dem Tod in den Meereswogen bewahrt, geht er zugrunde.

Denn dieser erste Mensch ist bekanntlich sein Sohn, Idamantes. Elektra geht mit Idomeneo unter. Die Wiener Neuproduktion verzichtet, wie früher üblich, auf das Schlussballett, das heutzutage als retardierend empfunden wird.

Das ewige Work in Progress

„Idomeneo“ war für den Komponisten ein Work in Progress. Schon vor der Uraufführung, die 1781 in München stattfand, hatte es etliche Umstellungen, Veränderungen und Kürzungen an Libretto und Partitur gegeben. Für spätere Produktionen und geplante Neuinszenierungen hat Mozart das Stück dann mehrfach einschneidend bearbeitet. Unter anderem entstand in Wien eine der schönsten Arien – mit Violinsolo – für den Idamantes.

Regisseur und Dirigent möchten auf dieses Stück nicht verzichten. Margarita Gritskova darf also „Non temer, amato bene“ singen. Um die dramaturgische Stringenz zu sichern, gibt es einige Umstellungen in der Reihenfolge der Nummern. Die Liebesgeschichte zwischen dem Königssohn und der gefangenen trojanischen Prinzessin Ilia (Chen Reiss) entwickelt sich dadurch bruchlos.

„Es stellt sich dann heraus“, meint Maria Bengtsson, „dass Ilia, die Geliebte des Königssohns, die Klügere der beiden Rivalinnen ist, die bessere Politikerin, sozusagen. Sie kann das Ganze für sich zum Guten wenden. Elektra wiederum agiert viel mehr aus dem Bauch heraus. Sie ist wie eine Gejagte. Sie weiß ja nicht, was die Zuschauer wissen. Daher geht sie panisch in die Irre.“

Sie darf aber – anders übrigens als die Sopranistin der Uraufführung, der Mozart eine Kürzung verordnete – alle drei Arien singen, auch die sogenannte Wahnsinnsarie gegen Ende der Oper.

Apropos: „Wahnsinnig“, sagt die Interpretin, „wird Elektra nicht wirklich. Wir erleben aber den völligen Zusammenbruch dieser Frau, die während der gesamten Oper um ihr Leben, ihr Überleben kämpft. Sie schleppt ja ihre Familiengeschichte, den geplanten Opfertod ihrer Schwester, den Mord an ihrem Vater, den Rachemord an der Mutter und die Rache der Götter an ihrem Bruder Orest, als Hypothek mit sich herum. Mit dem Machtverlust des Königs verliert auch sie ihren letzten Hoffnungsschimmer. Sie muss mit den Dämonen weiterleben, die nun auch Idomeneo umfangen.“

Ein Doppeldebüt für Wien

„Die Premiere ist mein Doppeldebüt“, sagt Bengtsson, „ich singe die Rolle das erste Mal, und ich singe das erste Mal an der Staatsoper. Dort hat sie ideale Probenbedingungen und ein wunderbares Premierenensemble vorgefunden, wie sie erzählt: „Am liebsten sind mir ja die Proben. Ich singe etwa 40Aufführungen pro Saison. Aber die Arbeit vor den Vorstellungen ist immer fantastisch.“

In Wien zu sein genieße sie „immer sehr“. Zuletzt gab es Premieren im Theater an der Wien. Auch diese Verbindung bleibt aufrecht. „Schon, weil mein Sohn letztens meinte: ,Diese Stadt ist so wunderbar, wo immer man hinschaut: Es ist schön!‘“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.10.2014)

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