Karrierefrau entdeckt die Lust am Nichtstun

„Shut (me) down“
„Shut (me) down“(c) dastag.at
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„Shut (me) down“ von Steffen Jäger im TAG: Absurdes mit braver Absicht.

Ein Stierschädel liegt anfangs im Scheinwerferlicht auf hellem Podest im Theater an der Gumpendorferstraße. Sonst ist die Bühne leer beim Stück „Shut (me) down“, das Steffen Jäger geschrieben hat, bei dessen Uraufführung er Regie führte. Da tänzelt der „Anfang“ herein: Raphael Nicholas, stark geschminkt, in kurzer, weißer Hose, mit schwarzer Kunstpelzjacke und Lackschuhen, philosophiert über die Mühen des Beginns. Kaum habe er ihn erfüllt, kaum komme die Aufführung in Gang, sei er weg. Zuvor aber versucht er, das Publikum für sich zu gewinnen, und setzt charmant einige Paradoxa: „Ich kenne meine Funktion und funktioniere doch nicht, weil mir der Inhalt fehlt.“

Nach solchen Plaudereien sind bereits einige der 90 Minuten vergangen, in denen Jäger mit Szenen unterschiedlicher Temperatur die Tücken des Ennui auslotet. Orientiert hat er sich an Iwan Gontscharows Roman „Oblomow“ von 1859, der aber ist nur ein ferner Spiegel für berufliche und wirtschaftliche Verdrossenheit von heute. Schon tänzelt eine Partygesellschaft herein. Ihr Mittelpunkt ist Lilie (Julia Schranz), die eben einen großen Schritt auf der Karriereleiter nach oben gemacht hat – irgendwas mit Investment, ständig wird Personal abgebaut. Der einzige Makel an der Beförderung: Ihr Bankenchef ist weg, wie Lilie am Morgen nach der Feier erfährt. Sie scheint orientierungslos, alle sind ihr fremd: Der Gatte (Georg Schubert), ein schmieriger Lokalpolitiker, der letzte, der noch wählt, gratuliert ihr zum zehnten Hochzeitstag. Die nach Jahren aufgetauchte Schwester (Elisabeth Veith) räsoniert über die tote Mutter. Ein Kollege (Jens Claßen) meldet Schlimmes aus der Firma und wirft entrüstet einen Papierstapel durch die Luft. Lilie bleibt einfach liegen, wie Oblomow.

„Wo ist die Story?“

Die Anfangsszenen sind mit gerade noch angenehmer komischer Übertreibung gespielt, sie haben Spannung, das tolle Ensemble agiert voll Elan. Aber leider verliert sich die Premiere am Mittwoch dann in beliebiger Szenenfolge. Einige skurrile Auftritte gelingen, etwa, wenn Emese Fáy, deren Gesicht aus einem Loch im Porträt von Leonardos „Mona Lisa“ guckt, es müde ist, ständig zur Schau gestellt zu werden, ihren Hintern vermisst und über windige Italiener herzieht, oder wenn ein Chor von Obdachlosen im Pathos attische Dimensionen anstrebt. Doch mit Zunahme des Wortschwalls und der braven moralischen Absichten verliert das Stück seinen Fokus. Vieles grenzt schon an Dada, ist aber dafür auch wieder zu harmlos, selbst wenn die Liebe zu einem herzigen Hund schamlos ausartet und schließlich sogar Amok gelaufen wird. „Wo ist die Story?“ wird gegen Ende hin gefragt. In der Tat, wo hat sie sich versteckt?

("Die Presse", Print-Ausgabe, 11.10.2014)

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