Diese sehr gewagten Scherze

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Die Komödiantin Maria Bamford verarbeitet ihre Geisteskrankheit in einer hochintelligenten Form von Comedy. Sie spricht dabei Umstände an, die man in den USA lieber verschweigt.

Eine zierliche Blondine mit auftoupiertem Haarschopf, alterslos wirkend wie viele Frauen von der amerikanischen Westküste, tritt vor das Mikrofon und stellt ihrem Publikum folgende Frage: „Denkt jemand von Ihnen gerade an Selbstmord?“ Verhaltenes Lachen. „Tun Sie es nicht – es ist die falsche Jahreszeit dafür! Wenn schon, dann bitte im späten September...“

Darf man Witze über Suizidgedanken machen? Und wenn ja: Ist es erlaubt, sie lustig zu finden? Maria Bamford hat diese Anstandsfragen in ihrer mehr als zwei Jahrzehnte währenden Laufbahn schon unzählige Male beantwortet. „Ich spreche über Selbstmord, aber ich bin ja nicht die Erste und Einzige in der Bühnengeschichte, die dieses Thema aufgreift“, sagt sie im Gespräch mit der „Presse am Sonntag“.

Vor allem weiß Bamford, worüber sie auf der Bühne Witze macht. Denn seit ihrer Kindheit ringt die heute 44-jährige Komödiantin mit einer schweren angeborenen bipolaren Störung. Im Jahr 2011 wurden ihre Selbstmordgedanken so stark, dass sie sich selbst in eine geschlossene psychiatrische Anstalt einweisen ließ. 18 Monate lang verbrachte sie immer wieder mehrere Tage in der Psychiatrie. Dort wurde schließlich endlich die richtige Diagnose getroffen: Bipolar II, eine seelische Erkrankung, bei der sich depressive und manische Phasen abwechseln. Mit Medikamenten und regelmäßiger Psychotherapie hat Bamford diese Krankheit seither im Griff.

Doch das hier soll kein Rührstück über eine verletzte Künstlerseele werden. Maria Bamford ist nämlich auf dem weiten Feld der amerikanischen Comedy eine der derzeit interessantesten Erscheinungen; davon kann man sich zum Beispiel auf YouTube in ihrer „Maria Bamford Show“ überzeugen. Ihre Komödienkunst ist hochintelligent, rasend schnell und schwingt von der atemberaubend lustigen Imitation amerikanischer Typen (der esoterischen Lebensberaterin aus Los Angeles, des sexuell abgründigen evangelischen Fernsehpredigers und vieler anderer) im Nu zur Kritik an der Unwahrhaftigkeit der modernen Zeitgenossenschaft.

„Ich habe alle meine psychischen Leiden unter Kontrolle“, sagt Bamford in einem anderen Sketch, in dem sie sich um eine Stelle als Mentorin für Jugendliche bewirbt. „Es geht mir wie jemandem, der Diabetes hat – mit dem Unterschied, dass ich mir nicht alle paar Stunden eine Spritze setzen muss, wegen meiner Krankheit kein Bein zu verlieren drohe und auch nicht früher als andere sterben werde.“


Judd Apatow schwärmt. Darüber kann man ebenso lachen wie nachdenklich werden: eine Qualität, die der Komödienschreiber Mitchell Hurwitz an Bamford schätzt. In einem Porträt über sie im „New York Times Magazine“ nannte Hurwitz (der Schöpfer der bahnbrechenden Serie „Arrested Development“) Bamford ein „Genie“ und eine „echte Künstlerin“. „Echte Künstler reden über Dinge, über die sonst niemand redet, und sie tun das offen und ehrlich.“ Judd Apatow, Produzent der Hitserie „Girls“ von und mit Lena Dunham, der Oscar-nominierten Komödie „Bridesmaids“ und mehrerer Filme mit Will Ferrell (allen voran „Anchorman“), hat Bamford als „die derzeit einzigartigste, bizarrste und einfallsreichste Komödiantin“ bezeichnet.

Diese Wertschätzung könnte Bamford demnächst den großen Durchbruch bringen. Denn Hurwitz erarbeitet im Auftrag des Internetfernsehunternehmens Netflix („House of Cards“, „Orange Is the New Black“) neue Projekte. Seit einigen Monaten tüftelt er mit Bamford an einem Konzept für ihre eigene Comedyserie. In der Neuauflage von „Arrested Development“ auf Netflix spielte sie bereits eine ebenso liebenswerte wie verwirrte Methamphetaminsüchtige. Ab Oktober hat sie eine Rolle in der neuen Serie „Benched“, einer Anwaltscomedy auf dem Kabelsender USA Network – jener Anstalt, aus deren kreativer Serienwerkstatt unter anderem der Knüller „Monk“ stammt. Es ist interessant, mit Bamford über Fragen des Humors als Kunstform zu sprechen. Während eines Studienjahres an der University of Edinburgh, wo sie Improvisationstheater spielte, lernte sie die Unterschiede in der Wahrnehmung und Wertschätzung von Komikern in Europa und den USA kennen. Bamford: „Ich fand es großartig, dass in Großbritannien Comedyshows in der Zeitung rezensiert werden“, schwärmt sie. „Ich denke, Comedy wird dort ernster genommen. Und der Wortschatz ist reicher als in Amerika.“

Erstaunlich findet sie es auch, dass Politik im amerikanischen Komödienfach eher ein Tabuthema ist als in Europa. „Die Leute reden hier sehr ungern über Politik. Wir haben zwar die ,Daily Show‘ von Jon Stewart, aber die zeigt im Grunde genommen nur, dass Comedy die Dinge natürlich nicht ändern kann. Sie ändern sich nur, wenn die Leute auf die Straße gehen und für etwas eintreten.“


Stundenhonorar für Freunde. Bamford ist eine akribische Arbeiterin. Wenn sie neues Material entwickelt, zahlt sie Freunden 75 Dollar pro Stunde, um sich ihre Gags über das Telefon anzuhören und ihr Feedback zu geben. Paradoxerweise gibt ihr die Arbeit auf der Bühne und vor der Kamera jene Sicherheit, die sie im Kampf mit ihrem Leiden jahrelang vergebens gesucht hat. „Das ist ein sehr strukturierter Rahmen: Du bist gut beleuchtet, deine Stimme wird verstärkt.“ Zudem sei es erleichternd, dass Kritik bei Stand-up-Comedy-Auftritten sofort und direkt geäußert wird. „Ich finde es gut, dass einem hier offen ,Du dumme Schlampe‘ ins Gesicht gesagt wird. Damit kann ich umgehen“, sagt Bamford.

Sehr verärgert ist sie hingegen über den amerikanischen Zweckoptimismus, der seelisch Kranken implizit unterstellt, sich nicht zusammenzureißen: „Das wird fast wie eine moralische Sünde behandelt. Und dann heißt es hier in den USA, alles sei möglich – fast auf eine gewalttätige Weise. Warum muss alles möglich sein? Ich bin ja nicht schuld an meiner Krankheit.“

Steckbrief

Leben
Maria Bamford kommt am 3. September 1970 auf einer Marinebasis in Kalifornien zur Welt und wächst in Duluth, Minnesota auf. Sie studiert in Edinburgh und an der University of Minnesota und hat einen Abschluss in kreativem Schreiben.

Geisteskrankheit
Schon als Kind rang Bamford mit einer Zwangsstörung, die sie „Ungewollte-Gedanken-Syndrom“ nennt. Das schließt regelmäßige Selbstmordgedanken ein. 2011 wird ihre seelische Last so groß, dass sie sich in die Psychiatrie einweisen lässt. Binnen 18Monaten verbringt sie dreimal mehrtägige Aufenthalte in geschlossenen Anstalten, wo bei ihr eine bipolare Störung diagnostiziert wird. Mithilfe von Therapiesitzungen und Medikamenten hat sie ihr Leiden heute im Griff.

Komödienkunst
Ihr erstes Vorbild war Steve Martin, seine Gabe zur Imitation von Stimmen übertrifft sie. Ihre Comedy ist schnell, tabulos und hochintelligent; ein Beispiel dafür ist ihre Rolle als nette Drogensüchtige DeBrie Bardeaux in der Serie „Arrested Development“.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2014)

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