"Werk X": Theater am Rande von Meidling

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Acht Uraufführungen im Kabelwerk gaben einen ersten Eindruck davon, was von den Intendanten Abdullah und Posch in der aufgewerteten Off-Szene zu erwarten ist.

Wie erfährt man kulturelle Besonderheiten des XII. Wiener Gemeindebezirks? Am besten mit dem Auto. Vor dem unlängst mächtig durch Neubauten vergrößerten Grätzel Kabelwerk (nach einer 1997 stillgelegten Fabrik) steht in der Oswaldgasse bereits ein Bus. Wir steigen ein, vier Dutzend Kulturbegeisterte an der Peripherie, für „Eine Reise durch den A... der Welt“, wie das Programm derb verspricht.

Ein Fremdenführer stellt sich als Hobby-Chronist Moritz vor, als Kroate, dessen burgenländische Oma einst zum Arbeiten nach Meidling gezogen sei. Und los geht es zur Kirche von St. Oswald in Altmannsdorf, hinüber zur Einfahrtsstraße, die über den Grünen Berg hinaufführt. Moritz preist die Alleen, die sich durchaus mit Boulevards in Paris vergleichen lassen könnten, er zeigt auf die Gemeindebauten gegenüber von Schönbrunn, die wie Villen aussehen. Hinunter geht's zum Tivoli. Am ehemaligen Wackerplatz ist einst ein Vergnügungszentrum gestanden, wo Vater und Sohn Strauß aufgegeigt haben.

Der Chronist redet sich warm, spricht mit Liebe über „seinen“ Bezirk, fragt die Mitreisenden ab, lässt sie „Schön ist so ein Ringelspiel“ von Hermann Leopoldi mitsingen. Auch der war ein Meidlinger. Unten an der Hauptstraße liegt die legendäre Discothek U4, weiter geht es zum Markt und hoch zum Wienerberg. Spätestens hier aber wird es hitzig. Die Fahrgäste beginnen heftig zu diskutieren, als von einem Mitfahrenden die Kompetenz des Reiseleiters angezweifelt wird. Fast vergisst man nun, dass man sich in einem Theaterstück von Sebastian Brauneis befindet – Straßentheater im wörtlichen Sinn. Und schon ist die Oswaldgasse nach gut 20 Minuten wieder erreicht. Der Kritiker eilt nach dieser köstlichen Einführung in den Unterbauch von Meidling, zum nächsten Stück.

Vom Petersplatz in den tiefen Süden

Denn hier am Kabelwerk gab es am Freitag und Samstag acht Uraufführungen, je vier parallel, immer unter einer halben Stunde, von teils renommierten Autoren, mehrfach wiederholt, bis die Eröffnung spätabends in einem musikalischen Fest endete. Meidling soll durch das Off-Theater im Kabelwerk aufgewertet werden. So will es Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ). Kultur für den Rand. Zwar gab es in dieser durchmischten Wohngegend bereits Theater für Minderheiten und Immigranten, aber jetzt soll alles noch schöner, ja international werden. Dazu hat der Stadtrat die Intendanten der Garage X vom Petersplatz beauftragt: Ali M. Abdullah und Harald Posch haben dort seit 2009 freche, engagierte, offene Formen geboten. Mailath gefällt das offenbar. Er hat sich, so hörte man 2012, sehr engagiert, persönlich und erfolgreich dafür eingesetzt, dass die beiden einen Nestroy-Spezialpreis erhielten.

Nun gibt es eine Fusion, die sie weiter aufwertet. Die Garagen-Macher ziehen mit ihrem Projekt ins viel größere Kabelwerk, eine Betonburg, die 600 Besucher fassen kann. Die Off-Szene übersiedelt von dort unter der Aufsicht von Abdullah und Posch auf die kleinere Bühne in die Innenstadt. Auch die Subvention wird kräftig erhöht. Bisher hatte Garage X 700.000, das Kabelwerk 400.000 Euro erhalten. Nun beträgt die Gesamtsumme 1,45 Millionen Euro. In Zeiten des Sparens klingt das generös.

Der Auftakt dieser kleinen Vereinigten Bühnen unter dem Logo „Werk X“ war das Festival Mythos Meidling. Geschichte, Sinn, Funktion dieses Bezirks wurden aufgearbeitet. Was also ist in Meidling zu erwarten? Die ersten acht Auftragswerke lassen auf Frische hoffen, zeigen aber auch, wie prekär und improvisiert das Unternehmen ist. Die „Reise“ gelingt mit Bravour, so wie auch der „Discotod in Meidling“ von Tex Rubinowitz (Regie: Harald Posch). Er hat Witz. Ähnlich hinterfotzig ist eine Reflexion von Robert Woelfl in der Caféteria Rosso am Rande des Kabelwerkes: In „Keine Zeit für Klassenkampf“ lässt Regisseurin Christine Eder vier Darsteller über absurde Pläne diskutieren, nach denen der ehemalige Arbeiterbezirk Meidling eins zu eins in China nachgebaut werden soll. Wie weit ist das vom Wunsch der Wiener Regierung entfernt, den Bezirk von oben herab zu kultivieren? Schon am zweiten Tag ist das Café nur schütter besetzt.

Palm mit Stalin im Häuserl am Spitz

Skurril umkreist Kurt Palm im Häuserl am Spitz den Meidling-Aufenthalt Stalins Anfang 1913. Zuweilen klingt seine Erinnerung nostalgisch, trotz Ironie. Wenn Robert Misik in „Nach Meidling!“ (Regie Gerhard Fresacher) blass wie Tschechow am Ballspielplatz mit Darstellerinnen gesellschaftskritisch agiert, wirkt das harmlos im Vergleich zu seinen geschliffenen Essays. Philipp Hauß kann mit der Inszenierung von Bernhard Studlars „No Country for Altmann“ im Poolhaus am Dach die Schwächen des Textes nicht überspielen. Dürftig ist auch „Das Projekt“ von Ulrike Syha auf der Probebühne (Regie: Fanny Brunner) – Western-Öde. Der Einfall von Barbara Ungepflegt und Peter Ahorner („Rein“), dass Russlands Präsident Putin zu Sebastian Kurz auf Staatsbesuch ins Pflegewohnhaus Meidling kommt, hat Charme: Die Zuschauer dienen als Statisten für Geschäftemacherei und Smalltalk. Das könnte fundamentale Kritik sein, bleibt aber eben nur so eine Idee.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 20.10.2014)

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