Folternde, vollbusige SS-Frauen

Shoa und Pornografie – die Verbindung hat in Israel Tradition.

„Die Wohlgesinnten“, schreibt der Kulturwissenschaftler Eli Eshed, sei ein moderner „Stalag“. In Israel machte in den frühen 60er-Jahren eine pornografisch-sadistische Groschenromanserie mit gleichem Namen Millionenumsätze. Eshed, bekennender Sammler der „Stalagim“ und Erforscher vor allem der leichten hebräischen Literatur, hält mit seiner Begeisterung nicht zurück. Jonathan Littells Buch werde seinen Lesern die Augen öffnen, verspricht er.

Ort und Thema der „Stalagim“ sind immer gleich: Vollbusige SS-Frauen foltern die Kriegsgefangenen in den Nazi-Lagern. „Wir haben die Frauen, das schwache Geschlecht, zu Herrinnen gemacht, vor allem über amerikanische Piloten, die von ihnen gedemütigt und vergewaltigt zu Jammerlappen wurden“, sagte Eli Kedar, einer der Autoren, Jahrzehnte später in einem Dokumentarfilm zum Thema. Kedar sammelte die Ideen für seine Texte zuhause. „Meine Eltern (beide Holocaust-Überlebende) haben geredet, ich habe geschrieben.“

Nach Ansicht des Tel Aviver Dokumentarfilmers Ari Libsker, der sich in seinem Film „Stalagim – Shoa und Pornografie“ mit dem Phänomen auseinandersetzt, ist die Vermischung von Realität und Fiktion das Problematische.

Sowohl Littell als auch Jechiel Dinur, selbst Holocaust-Überlebender und der erste israelische Autor, der sich gleich nach dem Krieg mit dem Holocaust auseinandersetzte, vermischten Zeugenaussage und Dichtung. Unter dem Pseudonym K. Zetnik veröffentlichte Dinur seine zum Teil wild ausgeschmückten Erinnerungen an die Schrecken in Auschwitz, darunter Schilderungen über KZ-Bordelle, in denen jüdische Frauen brutal dazu gezwungen wurden, den deutschen Offizieren sexuelle Dienste zu leisten.

Morbide Fantasien als Schullektüre

„Es ist längst belegt, dass es in den Freudenhäusern der Lager keine Jüdinnen gab“, stellt Libsker richtig. Littells „Die Wohlgesinnten“ nennt er ein „infantiles Buch“, das auf die Weltanschauung des Autors schließen lässt, wenn es „Kitsch, Sex und Tod mit Nationalsozialismus und den Schrecken des Holocaust vermischt“.

Der junge Regisseur prangert die „morbide Faszination und Ignoranz“ der Erzieher an, die mit den „pornografischen Schilderungen den Schülern die Gehirne waschen“. In seinem Dokumentarfilm zeigt Libsker eine Lehrerin, die in Auschwitz einer israelischen Mittelstufenklasse erklärt, wo genau das Freudenhaus gewesen sei, und dann entsprechende Auszüge aus dem Buch K. Zetniks vorliest, das auf dem Lehrplan für Mittelschulen steht. „Ich fürchte, dass in ein paar Jahren eine andere Lehrerin vor den Krematorien steht und Auszüge aus den ,Wohlgesinnten‘ von Littell liest.“ kna

Lexikon

„Stalag“ ist die Abkürzung für Stammlager – so wurden im Nationalsozialismus die Lager mit Kriegsgefangenen des II. Weltkriegs bezeichnet. Die Autoren der „Stalag“-Romane waren alle Israelis und größtenteils Kinder von Holocaust-Überlebenden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 02.08.2008)

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