Damien Hirst: Ein Goldenes Kalb fürs Zollfreilager

(AP) (Sang Tan)
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Seine mit 233 eigens produzierten Werken bestückte Rekordauktion wird in die Geschichte eines selbst zynisch gewordenen Kunstmarkts eingehen.

Selbst dem smarten Damien Hirst muss der Queue in der Hand kurz gebebt haben, als er – angeblich beim Snooker-Spiel in einem Londoner Pub – das Ergebnis seines bisher abgebrühtesten Marketing-Coups erfuhr: 140 Mio. Euro, mehr als doppelt so viel wie der zuvor bekannt gegeben untere Schätzwert, haben die 233 fabriksfrischen Objekte und Bilder des englischen Superstars vergangenen Montag und Dienstag in zwei Sessions bei Sotheby's London eingespielt. Und das mitten in der schlimmsten Börsenkrise seit Jahren – aber die High-End-Kunstmarktblase platzt und platzt nicht.

Das Ergebnis wirkt tatsächlich rasant, wenn auch nicht mehr total nervenzerfetzend – immerhin kostet allein das zur Zeit als teuerstes Bild der Welt gelistete Dripping „No. 5“ von Jackson Pollock 140 Millionen (Dollar allerdings). Egal. Ein neuer Rekord musste her: Somit gewinnt die Hirst-Auktion den goldenen Stockerlplatz für die bisher teuerste Einzelauktion eines Künstlers. Wer also bisher dem Glauben huldigte, dass die läppischen 65 Millionen Pfund, die 1993 88Werke von Pablo Picasso einbrachten das absolute Nonplusultra wären, der möge sein Mantra bitte jetzt updaten.

Die echte Revolution sind aber sowieso nicht die schnöden Millionen, sondern ist die bisher unbekannte Strategie, mit der der 43-Jährige Schlossbesitzer, Kunstfabriksdirektor (200 Angestellte) und Multimillionär den Markt für sich ausreizt: So mag es bisher ja durchaus vorgekommen sein, dass Künstler ihre Werke hie und da verschämt ins Auktionshaus trugen – schließlich sparen sie sich so die Galeristen-Marge. Aber noch nie hat ein Künstler eine geschlossene Werkgruppe eigens für eine Auktion anfertigen lassen, noch nie zeigte einer dem mächtigen Galeristen-System im Hintergrund so eiskalt die Schulter und bot seine Markenzeichen direkt einer Art Großhandelskette an. Aber wenn schon Karl Lagerfeld für H&M designed, warum soll nicht auch Damien Hirst für Sotheby's – oder Christie's – eine maßgeschneiderte Kollektion kreieren? Also lache Bajazzo – selbst Hirsts gedumpte Galeristen machten gute Miene zum bösen Spiel: Jay Jopling sowie Mitarbeiter von Larry Gagosian wurden im Saal gesichtet und schienen (für welche Kunden auch immer) eifrig mitzubieten.

War Hirsts Auktion jetzt ein subversiver Akt oder rein affirmatives Profitdenken? Es ist gar nicht mehr wichtig, diese Frage zu beantworten. Der von unermesslich reichen russischen Oligarchen getragene, auf ultimative Repräsentation ausgerichtete Kunstmarkt ist in den vergangenen goldenen Jahren wie ein Virus mutiert. Er zeigt sich resistent gegen jeglichen Zynismus, weil er selbst zynisch geworden ist. Ohne lange zu werben und zu fragen, umtanzt er einfach alles, was groß und teuer ist und glänzt, selbst wenn es tatsächlich „Goldenes Kalb“ heißt, wie Hirsts Spitzenlos.

Um 9,2 Mio. Pfund ist der – typisch Hirst – in einen gläsernen Tank eingelegte Bulle mit vergoldeten Hörnern, Hufen und Heiligenschein jetzt versteigert worden. An einen Telefonbieter. Anonym, wie alle anderen Käufer. So entschwinden Hirsts artifizielle Meisterwerkstattstücke, denen jegliche Aura von Geburt an verwehrt wurde, ebenso unprätentiös wie sie entstanden sind, in die unheimlichen Zwischenwelten von Schweizer Zollfreilagern und Moskauer Milliardärsburgen. „I think the market is bigger than anyone knows, I love art and this proves I'm not alone and the future looks great for everyone“, ließ Hirst am Ende der Auktion verlesen. Einige anonyme amerikanische Hedgefondsmanager sollen dabei leise geschluchzt haben.

Damien Hirst im Sucher S. 39

AUF EINEN BLICK

Zwei Jahre lang haben 200 Mitarbeiter an den 223 Objekten und Bildern gearbeitet. Vergangenen Montag und Dienstag wurden sie in London versteigert. Die zweiteilige Verkaufsveranstaltung trug den Namen „Beautiful Inside My Head Forever“. Der Gewinn betrug rund 140 Millionen Euro. Es war die erste Auktion, die von einem lebenden Künstler zur Gänze bestückt wurde.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.09.2008)

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