Runter vom Podest, ihr Helden!

FOTOPROBE: 'DANTONS TOD'
FOTOPROBE: 'DANTONS TOD'APA/HERBERT NEUBAUER
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Jan Bosse inszeniert "Dantons Tod" von Georg Büchner im Burgtheater im guten Sinne einfallsreich, interessant – und mit einem fulminanten Joachim Meyerhoff in der Titelrolle.

Ich studierte die Geschichte der Revolution. Ich fühlte mich wie zernichtet unter dem grässlichen Fatalismus... Ich finde in der Menschennatur eine entsetzliche Gleichheit, in den menschlichen Verhältnissen eine unabwendbare Gewalt.“ Dieser Text Georg Büchners ist chorisch in Jan Bosses originelle Inszenierung des Dramas „Dantons Tod“ eingefügt, die Freitagabend im Burgtheater Premiere hatte: eine bewegliche, bilderreiche und musikalische Version des Stücks, das 1835 entstand, aber erst 1902 seine richtige Uraufführung erlebte. Die Verfolgung eines Rebellen erlebte Büchner, der mit 23 im Zürcher Exil an Typhus starb, am eigenen Leib. Sein „Danton“ handelt von der Französischen Revolution, fast mehr aber von Zweifeln am Sinn der menschlichen Existenz, die durch die Aufklärung, den Aufstieg der Naturwissenschaften nicht mehr in Gott ruht.

Danton ist Atheist, den verwickelten Gottesgegenbeweis führt im Stück Payne, ein Mitglied des Wohlfahrtsausschusses, der natürlich nichts weniger als Wohlfahrt im Sinn hat, sondern Handlanger des Terrors ist. Für das heutige Verständnis ist der „Danton“ ein teilweise strapaziöses Thesenstück voller Anspielungen des Universalgelehrten Büchner. Bosse strich saftige Volksszenen und holte die Revolutionshelden vom Pathospodest: wagemutig. Riskant. Einige nickten bei der Premiere ein, ermüdet von der Suada rhetorischer Spitzfindigkeiten.

Letztlich aber geht das Konzept auf: Joachim Meyerhoff als Danton beschmiert sich mit weißem Lehm, klebt sich blonde Haare auf den Schädel und wirft einen teuren Morgenmantel über. Nur noch ungern zwängt sich dieser jugendliche jäh Vergreiste in die schwarze Kluft des Aufbegehrers, vor Gericht stopft er sich noch einmal tüchtig aus, doch den Glauben an den neuen Menschen hat er längst verloren. Sein erstes Wort ist „Ich mag nicht mehr“, vor allen anderen weiß er, dass es mit ihm aus ist. Die Anklage mit Charisma zu entkräften, das wäre ein Abenteuer, das sich lohnt, aber der Tod ist doch grausiger als dieser Glücksritter und Frauenheld, der federnden Schrittes über die Bühne joggt, es sich vorgestellt hat. Meyerhoff ist großartig.


Maertens als eifernder Robespierre. Aber auch Michael Maertens als Robespierre wirkt spannend. Maertens mit Prinz-Eisenherz-Frisur trinkt Milch, liebt vermutlich Knaben mehr als Mädchen und ist ein Fundamentalist der Tugend, deren Maßstäbe er selbst und willkürlich setzt. Mit Propaganda weiß er besser umzugehen als Danton, beim ersten Mal erscheint Robespierre überlebensgroß auf Video. Maertens' schneidende Stimme bewährt sich bei dieser Figur famos. Peter Knaack als Camille Desmoulins, mit Danton und Robespierre befreundet, war wohl ein Idealist, die Ereignisse aber sind seinen Vorstellungen entglitten. Jetzt will er nur noch in den Armen seiner Frau (kindlich, romantisch, clownesk: Aenne Schwarz) Ruhe finden. Camille wäre zum Verrat an Danton bereit, es nützt nichts, mit diesem besteigt er das Schafott – wie auch der Intellektuelle Lacroix (Daniel Jesch).


Wenig Trost von Frauen. Mädchen spenden bei Büchner Trost, wenig bei Bosse. Adina Vetter als Dantons Gattin Julie, eine Tochter aus gutem Hause, möchte den vom Schlachtfeld der Intrige weidwund und bereits stark verstört heimgekehrten Ehemann gern trösten, aber diesem ist die Lust auf Beischlaf vergangen. Die Prostituierte Marion (Jasna Fritzi Bauer) ist vollauf mit sich selbst und ihrer ramponierten Vita beschäftigt, ihr erster Liebhaber ging ins Wasser, nachdem er feststellen musste, dass sie der Sexsucht verfallen war. In der dekadenten Erotik mit einer kräftigen Prise Transgender ist Danton mit seiner Entourage schon nah beim verhassten Adel angekommen. Das Volk bekommt abgeschlagene Köpfe statt Brot serviert. Die Bürger, als Citoyens von der Revolution gefeiert, werden von Terror und Gegenterror überrollt: Stefan Wieland und Hermann Scheidleder beben vor Zorn, können sich aber nicht wehren. Ignaz Kirchner entfaltet seine strenge Bedrohlichkeit diesmal für den kalten Polemiker Payne und für den Richter im Prozess gegen Danton. Kirchner agiert als eine Art Conférencier, er erzählt auch das Büchners „Woyzeck“ entnommene Märchen vom armen, verlassenen Kind. Am nachhaltigsten hat die Regie den St. Just zurechtgestutzt. Will Quadflieg spricht dessen berühmten Monolog „Es scheint in dieser Versammlung einige empfindliche Ohren zu geben, die das Wort Blut nicht wohl vertragen können...“ messerscharf auf einer alten Schallplatte. Fabian Krüger dagegen erklärt als Irrlehrer mit sanftem Blick sich und den Kindersoldaten – die, nachdem sie die „Marseillaise“ gesungen haben, die Bühne stürmen – die schöne neue Welt der Revolution, die nun einmal über Leichenberge führe. Die Kids sind beeindruckt. In dieser Szene hat die Inszenierung ihre stärkste Aktualität, wobei sie dankenswerterweise auf vermummte Islamisten u. a. Plattitüden verzichtet.


Nachtmahr vor der Guillotine. Am Schluss gibt es noch ein tolles Bild: Die entgeisterten Recken hängen in den Seilen, an den Seilen, von Albträumen heimgesucht, in Todesangst, die Hoffnung auf Nachruhm zerbröselt...

Shakespeares blühende Poesie und das deutsche Ideendrama hat Büchner zusammen gezwungen, „Politik, Religion, soziales Leben, Kunsttheorie, Weltschmerz, Ennui, Sensualismus und Spiritualismus“, wie es in der „Rororo-Monographie“ heißt. Bosse erforscht das klassische Gelände weniger frech-souverän als sonst, aber er entwickelte für den Stoff Ideen, zeigt Liebe zum Detail und geht klug mit seinem sehr guten Ensemble um. Falls „Danton“ noch Schullektüre ist, wirkt diese Aufführung erhellend, modern.

1813. Georg Büchner wird am 17. 10. als ältestes von acht Kindern und Sohn eines Arztes in Goddelau/Hessen geboren.

Studium. Medizin. Beschäftigung mit Literatur, Philosophie. Büchner forschte über das Nervensystem der Flussbarbe, Dozentur für Vergleichende Anatomie in Zürich.

1832. Heimliche Verlobung mit der Straßburger Pfarrerstochter Louise Wilhelmine Jaeglé.

1834. Die revolutionäre Schrift „Der Hessische Landbote“ u. a. über die enorme Steuerlast des Volkes bringt Büchner in Konflikt mit den Behörden.

Literatur. „Dantons Tod“, „Leonce und Lena“, „Woyzeck“ sind Büchners bekannteste Werke. „Woyzeck“ war zuletzt im Volkstheater zu sehen. Alban Berg schrieb eine Opernversion.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.10.2014)

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