Schauspielhaus Graz: Ein misslungener Faschings-Scherz

(c) APA (Peter Manninger)
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Regisseur Peter Konwitschny verblödelt William Shakespeares Tragödie „König Lear“; Udo Samel spielt konsequent den König als Narren, seine Mitspieler verlieren sich in pompöser Aufmachung.

Die Narren waren los am Dienstag in Graz. Sie fanden offenbar auch den Weg ins Schauspielhaus. Dort hatte die Tragödie „König Lear“ Premiere, die mit einer furiosen Viertelstunde der Verfremdung begann, um dann in knapp vier Stunden unrühmlich episch zu verröcheln. Regisseur Peter Konwitschny hat sich tapfer in dem schwierigen, 400 Jahre alten Text verrannt und dabei das junge Grazer Ensemble überfordert, das dem merkwürdigen Solo von Gaststar Udo Samel als durchgeknallten König artig assistieren durfte. Zu brav hat sich nämlich der Regisseur an das Diktum des Theoretikers Jan Kott gehalten, dass der „Lear“ im neuen Theater (der Sechzigerjahre!) nicht tragisch, sondern grotesk gespielt werden müsse.

Lear wirkt bei Konwitschny von Anfang an irrsinnig. Der Hofstaat ist versammelt, um die Aufteilung des Reiches unter den drei Töchtern des Königs zu bezeugen, von denen nur die zwei weltgewandten belohnt werden, die ehrliche dritte enterbt wird. Die Trompete kündigt den Monarchen an, auf einem bekränzten Balkon sieht man eine Figur im Hermelin, eine Puppe. Der echte König steuert die Szene von der Seite aus, er bläst die Trompete abenteuerlich schlecht, nimmt ein Mikrofon zur Hand, spricht seine ersten Verse (Übersetzung: Werner Buhss), und hoppala! – die Marionette stürzt in die Tiefe. Der Protagonist tauscht nun bald die goldene Krone gegen eine aus Papier.

Machtgeil bestiegene Liebhaber

Alles klar in dieser platten Programmatik? Wer die Macht abgibt, fällt in den Abgrund. Wer in Kleidermetaphern spricht, kippt irgendwann, des Amtes entkleidet, die Renaissance-Kostüme (von Michaela Mayer-Michnay) achtlos in den Theatergraben (oder schenkt, wie Goneril oder Regan, das überflüssige Höschen dem machtgeil bestiegenen Liebhaber). Alles wird Symbol, auch Lächerliches: Stricke, Dolche, Kronen, Pistolen, Narrenkappen. Samel spielt, als ob sich Weber Zettel vom „Sommernachtstraum“ ins falsche Stück verirrt hätte. Wer wird nicht einen Samel loben, Meister des Charakterfaches? Natürlich kann er schwachsinnig grinsende und auch mit seinen lästigen Ritter-Rowdys tobende Könige spielen. Auch wenn er dem Publikum ironisierend zublinzelt, sitzt das. Aber der echte Charakter befindet sich im falschen Stück.

Volksnah wie vor 400 Jahren

Volksnah sollte die aufwendige Aufführung wohl sein, wie in Shakespeares „hölzernem O“, pompös ist es geworden, dieses Fleisch gewordene Karneval-Stück. Die Bühne (Jörg Koßdorff) setzt sich über einen Steg mitten durchs Parkett in den ersten Rang fort. Auf der Hauptbühne sind vor der Pause Zuseher auf einer halbrunden Tribüne platziert, die dreht sich im Kreis, wenn es bei Familie Lear rund geht. Die Schauspieler suchen den Kontakt zum Publikum, sprechen es immer wieder an. So verweist Lears älteste Tochter Goneril (Frederike von Stechow) einen Gast rüde von seinem Platz, um das Geschehen sozusagen von außen zu verfolgen. Auch der böse Edmund treibt diese einfachen Scherze (der athletische, in Krisensituationen stotternde Jan Thümer überzeugt in dieser Paraderolle). Der Bastard des Grafen von Gloster (Götz Argus) fordert das Publikum auf, die Mobiltelefone abzuschalten. Und die Herzöge mit ihren Frauen champagnisieren in einer Loge.

Aufs Gröbste darf jedoch Lear die vierte Wand durchstoßen. Von den Töchtern geschmäht, zerlegt er am Ende des dritten Aktes Sitze in der ersten Zuschauerreihe, während der Narr (Otto David) und seine Begleiter auf die betroffenen Besucher beruhigend einsprechen und ihnen Ersatzplätze auf der Bühne anweisen. Trotz dieser technischen Anstrengungen scheint der Funke zwischen Darstellern und Betrachtern nicht überzuspringen. zu überdreht ist diese Hetz. Ein Beispiel: Regan (Jaschka Lämmert) und ihr Gatte, der Herzog von Cornwall (Markus Schneider), stechen Gloster, der zum alten König hält, die Augen aus. Sie spielen mit den Argusaugen wie mit schleimigen Gummibällen. Das wirkt so albern wie die aufgesetzten erotischen Szenen.

Achtbar behaupten können sich allerdings Gerhard Balluch als wandlungsfähiger Graf von Kent und Dominik Maringer als Glosters braver Sohn Edgar. Die Szenen mit dem geblendeten Vater an den Klippen von Dover berühren. Zusammen mit dem Narren und Lear ergibt sich eine Blindentruppe, die wie bei Breughel in den Abgrund zu fallen droht. In den letzten beiden Akten – die Tribüne ist vorerst weggeräumt – spielt man in Business-Anzügen auf einer einfachen, doch symbolisch überladenen Bühne. Graue Wände, die spitz aufeinander zulaufen; „Heide“ steht in großen Lettern oben. Eine ausweglose Situation, die beiden Türen in den Wänden führen ins Nichts.

„Los! Sehen Sie doch hin!“

Am Schluss ist die Tribüne wieder da, die Hauptfiguren hängen dort viel zu lange ab. Bald werden die meisten tot sein, vergiftet, hingestreckt, von selbst gerichtet. Die treue Cordelia (Sophie Hottinger entspricht am besten dem duldenden Teil der Rolle) liegt wie Jesus bei Maria in den Armen Lears, der das letzte Wort hat: „Los! Sehen Sie doch hin!“ Man muss sehr genau hinsehen, um in diesem grotesk-lustigen „König Lear“ Shakespeares Apokalypse zu sehen. Konwitschny ist leider der Versuchung erlegen, eine modernistische Operette zu inszenieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.02.2009)

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