Soziologie: China will mehr Mädchen

(c) Reuters (Christian Hu)
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Neue Kulturrevolution soll Überhang an Burschen bremsen. In Ostasien werden Mädchen immer noch weniger geschätzt als Buben. Viele Männer finden schon keine Partnerin mehr.

Als Bao Tiezhu und Li Qing im Jahr 2002 heirateten, taten sie alles gegen die chinesische Tradition: Bao, der Mann, zog zur Familie seiner Frau; deren Namen bekamen auch die zwei Kinder; und, vor allem: die beiden sind Mädchen. So wurde das Ehepaar zur Verkörperung der neuen chinesischen Familie, die unter dem Slogan „für Mädchen sorgen“ propagiert und mit einem Bündel von Anreizen und Strafen vorangetrieben wird.

Das soll dafür sorgen, dass das Gleichgewicht der Geschlechter zumindest nicht noch mehr durcheinandergerät: Zwar gibt es weltweit einen leichten Überhang der männlichen Geburten, auf 100 Mädchen kommen etwa 103 bis 107 Burschen. Aber in den patrilinearen Gesellschaften Asiens, in denen Söhne erben und die Eltern erhalten, wurde immer schon für ein Missverhältnis gesorgt, früher durch Infantizid an Mädchen, heute durch selektive Abtreibung, es ist überall in Ostasien so, in Indien fahren – obwohl es streng verboten ist – Ärzteteams durchs Land, die mit Ultraschall das Geschlecht von Ungeborenen feststellen und dann weitere Dienste offerieren.

Viele Männer finden keine Frau

In China ist es nicht anders, aber dort wurde zudem 1980 zum Eindämmen des Bevölkerungswachstums die „Ein-Kind-Politik“ verordnet: Jedes Paar durfte nur noch ein Kind haben. Das machte vor allem bei der Landbevölkerung so böses Blut, dass es zur „Eineinhalb-Kind-Politik“ modifiziert wurde: Wenn das Erstgeborene ein Mädchen war, hatten die Eltern noch einen Versuch frei. Aber eben damals kamen die Ultraschallgeräte, es gab (verhältnismäßig) immer mehr Burschen, landesweit kommen heute auf 100 Mädchen 120 Burschen, regional geht es auf bis 140. Das bringt soziale Probleme – viele Männer, etwa zehn Prozent, finden keine Frauen mehr, manche fürchten Unruhen –, aber ein Gegenmittel hat sich bisher nicht gefunden.

Deshalb kommt wieder eine Kulturrevolution, sie begann in in Chaohu, Provinz Anhui. Dort leben Bao und Li, dort lief das Programm 1999 an – harte Strafen für Abtreibungen, Geldgeschenke für Mädchen und gutes Land für die Eltern –, dort greift es: 1999 kamen auf 100 Mädchen 125 Burschen, 2002 waren es 114 (Science, 323, S.1164). jl

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.02.2009)

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