„Aus dem Leben der Marionetten“: Psycho auf Schwedisch

(c) AP (Stephan Trierenberg)
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Die Inszenierung Philip Tiedemanns ist trotz engagierter Leistungen der Protagonisten nur ein Abglanz des Originals geworden, eine Spießerfassung über das Auszucken eines Biedermannes.

Eine Prostituierte wird vergewaltigt, erwürgt und schließlich als Tote anal missbraucht. Das ist nicht ein Stoff aus TV-Serien über Forensiker, auch nicht der handelsübliche, mit Sensationslust rechnende Nachmittagstalk mit einem perversen Exhäftling, sondern der Ausgangspunkt für die unheimliche Aufarbeitung moderner Beziehungskisten durch den 2007 verstorbenen Krisengroßmeister Ingmar Bergman. Sein Film Aus dem Leben der Marionetten, den er selbst hoch schätzte (die Kritiker weniger), hat nach 29 Jahren den Weg in das Theater in der Josefstadt gefunden. Dort kann nun das Publikum seit der Premiere am Donnerstag sein Rotlichtvokabular auffrischen, das aus technisch versierten Mündern der sogenannten besseren Gesellschaft kommt.

110 Minuten lang quälen einander und das Publikum eine Handvoll aufgeklärter Schweden mit Sinnverlust. Die Inszenierung Philip Tiedemanns ist trotz engagierter Leistungen der Protagonisten nur ein Abglanz des Originals geworden, eine Spießerfassung über das Auszucken eines Biedermannes. Ein Beispiel: In einer Rückblende treiben es die Hure Ka (Silvia Meisterle) und ihr Freier, sie behalten dabei lächerlich-vulgär die Unterwäsche an. „Entweder – oder“ würde dazu ein echter Skandinavier sagen.

Das Ehepaar Peter und Katarina Egerman (Bernhard Schir und Maria Köstlinger) hat Probleme. Der Sex ist gefühlsarme Routine, man betrügt sich, Egerman gesteht einem Freund, dem Psychiater Mogens Jensen (Alexander Strobele), der ein Verhältnis mit Katarina anfangen will, dass er Gewaltfantasien hat. Er will seine Frau töten. Jensen vertröstet ihn mit einem Termin, und zack – schon ist der zuvor gezeigte Mord Egermans an der Prostituierten erklärt. Auf der aparten Drehbühne (Etienne Pluss schwelgt in spiegelnden Flächen) nimmt sich die Untat wie der Teaser eines alten Fernsehspiels aus.

Dann folgen aber noch 100 Minuten Aufarbeitung, sogar ein Kommissar wie aus einem frühen Edgar-Wallace-Film (Peter Moucka) kommt zu Wort. Egermans starke Mutter (Marianne Nentwich) trägt zum Erklärungsmuster bei, das arme Söhnchen hat nicht nur eine dominante Mama, sondern auch noch eine ihr feindlich gesinnte Powerfrau zuhause, die sich über seine Erektionsprobleme lustig macht.

Eine schwule Klagemauer

Köstlinger leistet in der Krise tolle Überzeugungsarbeit, so wie Schir. Der Rest: psychologisierende Staffage; Tim (Sylvester Groth), die schwule Klagemauer für Katharina, liebt ihren Mann, Elfriede Schüsseleder als Egermans Sekretärin und Peter Scholz als Freund der Familie dienen auch nur als Projektionsfläche dafür, dass die Eheleute unglücklich sind. Sie klammern sich an Dinge wie verängstigte Kinder, an Tennisschläger, Kissen, Blumen, Taschen. Sie lassen sich kraftlos in dänische Designerstühle fallen.

Bonjour tristesse! Warum eigentlich? Das wird im putzigen Bühnenkarussell der Josefstadt nicht ganz klar. Haben die vielleicht bedrückende Steuerschulden wie Bergman in den Siebzigerjahren? Blasenkrebs? Prostata? Man weiß es nicht. Schir sitzt zwar zuweilen da wie ein gekrümmter Wurm, aber vielleicht ist es tatsächlich etwas Seelisches oder gar Psychosomatisches. Am Schluss, nachdem Doktor Jensen beim Untersuchungsbeamten seinen tödlich langweiligen Expertensermon abgelassen hat, dunstet Egerman in der Zelle wie einst Mister Bates in Psycho. Und sieht aus wie das Opfer – wie der Besucher eines schwedischen Problemfilms, der mit finnischen Untertiteln in einem Kino in der Josefstadt läuft.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.03.2009)

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