Nestroy mit Trash, Politik, viel Alk

Jetzt erst recht: Kassieren! „Lumpazigeist Höllenangst Umsonst“, rasanter Nestroy-Polterabend mit Männerfreundschaft im Schauspielhaus Graz.
Jetzt erst recht: Kassieren! „Lumpazigeist Höllenangst Umsonst“, rasanter Nestroy-Polterabend mit Männerfreundschaft im Schauspielhaus Graz.LUPI SPUMA | www.lupispuma.com
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Grazer Schauspielhaus. „Lumpazigeist Höllenangst Umsonst“, eine überwiegend witzige, kühne Performance über Männerfreundschaft. Grandios: das Ensemble und die Musik.

Männer sind so verletzlich, Männer sind auf dieser Welt einfach unersetzlich“, singt Herbert Grönemeyer. Der Hit ist 30 Jahre alt, die „Männerwelle“, geboren aus dem und gegen den Furor des Feminismus, rollt immer noch und sie dürfte mehr Leute beschäftigen als Transgender. Das Grazer Schauspielhaus zeigt in Kooperation mit dem Theater im Bahnhof seit Samstagabend „Lumpazigeist Höllenangst Umsonst“. Wer hier Beistriche setzen will, irrt: Der Titel erzählt schon das Stück, der böse Geist Lumpazivagabundus aus Nestroys gleichnamiger Posse regiert wie der Fürst dieser Welt, animiert die Leute zum Verschwenden, Betrügen und Raffen. Die Höllenangst ist aber umsonst – was teuflisch erscheint, hat am Ende sehr irdische Ursachen.

Die Regisseure Helmut Köpping und Ed. Hauswirth binden die Glücksritterei aus drei Nestroy-Possen, eben „Lumpazivagabundus“, „Höllenangst“ und „Umsonst“, mit heutiger Glücksritterei unter dem Etikett „Männerfreundschaft“ zusammen und treiben das Ensemble in eine rasende Sketch-und Gag-Show – mit erfreulich viel Originaltext. Bier und Schnaps fließen in Strömen. Nestroy wird dekonstruiert und neu zusammengesetzt, das Ergebnis erinnert an manche bildende Kunst: Einiges ist interessant und originell, manches eher grauslich und unverständlich – und die ganze Skulptur schaut etwas windschief aus. Die Geschichte in Kürze: Thurming, der Oberrichter aus „Höllenangst“, muss sein Schwarzgeld verstecken, als die Finanzbehörde bei ihm anklopft. In Gewitter und Sturm flieht er über das Dach, stürzt in die Wohnung des „proletariatsbeflissenen“ Wendelin, der bei Thurmings Polterabend, dem Hauptschauplatz des Dramas, als Erster seine Geschichte erzählen muss. In der Folge beleuchten die anderen „Buben“, die größeren Gangster und die kleineren Strizzis, aus verschiedenen Blickwinkeln ihre Erlebnisse mit Thurming. Dieser feiert mit seiner Society-Lady Adele eine noble Hochzeit, es ist aber ungewiss, ob seine Kumpane weiter zu ihm halten werden. Und was sagen die „Feen-Frauen“? Sie sind womöglich die wahren Drahtzieher...

Kollegium Kalksburg und toller Strip

Wer bei dieser Synopsis an die Ereignisse um den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser denkt, hat recht, aber es geht nicht nur um diese Affäre, ja nicht einmal – wie eingangs ankündigt – um das „liederliche Leben von acht Verantwortungsträgern“.

Das Regieduo liefert keine Message, darin liegt der Witz dieser Nummernrevue, die in ihren besten Momenten ein waghalsiger, mit großer szenischer Fantasie gestalteter Balanceakt über die Unsicherheit und Gier des Lebens in neoliberalen Zeiten ist. Mit akrobatischer Körperlichkeit stattet Christoph Rothenbuchner den im Kieser-Training gestählten Thurming aus, Rupert Lehofer macht aus dem einfachen Schuster Knieriem einen der Männer aus der von Martin Suter so blendend beschriebenen Businessclass: trinkt überall mit, kommt aber trotzdem nicht vorwärts. Herrlich: der rundliche Thomas Frank als Wendelin. Ihm geht's noch schlechter als dem Knieriem, er wird gern ausgenutzt, gemeinsam mit seinem versoffenen „Vati“ Pfriem (Stefan Suske). Kellnerin Gaby (Beatrix Brunschko) steckt viele Hundert-Euro-Scheine ein auf dieser entfesselten Party mit kotzenden Schwadroneuren bis in die Morgenstunden, köstlich resch sind auch die zwei anderen „Feen“: Martina Zinner (Emma) und Juliette Eröd (Rosalie). Gerhard Balluch bezaubert als misanthropischer Abstinenzler Pitzl, der den „Franz Moor“ einstudiert. Phänomenal ist die Wiener-Lied-Gruppe Kollegium Kalksburg mit ihrem leider nicht immer wortdeutlichen Sänger Wolfgang Vincenz Wizlsperger – und Burlesquetänzerin Mitzi May mit ihrem Strip.

Der Beginn der Aufführung ist mühsam, doch bald gewinnt sie dank des entfesselten Spiels und des Einfallsreichtums der Dialoge und Querverweise. Für eine Premiere war das Haus nicht gut gefüllt, einige flohen nach der Pause. Insgesamt dennoch: Eine findige, trashige Nestroy-Überschreibung, die den Experimenten mit diesem Wiener Klassiker – der konservativ gespielt nur mehr selten funktioniert, sich aber auch der Verfremdung widersetzt – einen tollen Schubs gibt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.11.2014)

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