Jung, Freud – dazwischen eine Frau

FOTOPROBE: 'EINE DUNKLE BEGIERDE'
FOTOPROBE: 'EINE DUNKLE BEGIERDE'(c) APA/HERBERT NEUBAUER
  • Drucken

Christopher Hampton inszeniert sein eigenes Stück „Eine dunkle Begierde“: klinische Anordnung, reizvolle Gedankenspiele, raffiniertes Ensemble.

Sigmund Freud (1856–1939) fällt in Ohnmacht. Das passiert dem berühmten Wiener Begründer der Psychoanalyse in Christopher Hamptons Drama „Eine dunkle Begierde“ gleich zwei Mal, wenn er durch seinen Schweizer Kollegen Carl Gustav Jung (1875–1961) in Bedrängnis gerät. Beim ersten Mal befinden sie sich 1909 auf einem Schiff, unterwegs zu Gastvorlesungen in den USA, sie wollen dort ihre Lehre propagieren. Jung doziert beim Rasten an Deck über Moorleichen, Freud hält das nicht aus. Im Grunde aber geht es bereits jetzt um die Konkurrenz zweier Alphatiere ihres Fachs, selbst wenn sich der „liebe junge Freund“ hier besorgt um den Kollabierten kümmert.

Beim zweiten Zusammenbruch in einem Waschraum bei einem Kongress in Deutschland reagiert Jung wesentlich kühler, er lässt Freud vorerst liegen. Jung hatte eigene Ansichten zum „Vatermord“ im alten Ägypten geäußert. Der Bruch ist bereits vollzogen. Freud sieht den anderen nicht mehr als den Erben, der seine Theorie wahrt, sondern als Scharlatan, der sein Lebenswerk gefährdet.

Dieser Kampf der Giganten, von wechselseitigen Manipulationen geprägt, hatte im Theater in der Josefstadt am Donnerstag Premiere. Sowohl Michael Dangl als verspannter Schweizer, der sich in Ersatzhandlungen vergisst, als auch Herbert Föttinger, der als Wiener Sphinx stets zur Zigarre greift, bieten dafür alle Raffinesse auf, die ihnen zur Verfügung steht. Sie belauern sich auf hohem Niveau. Die entscheidende dritte Hauptrolle spielt aber bei Hampton (Oscar 1989 für das Drehbuch von „Gefährliche Liebschaften“) eine schillernde Frau: Sabina Spielrein (1885–1942) war 1904/05 Patientin von Jung in Zürich, dann seine Geliebte, schließlich eine eigenständige Psychoanalytikerin, die mit Freud in Verbindung stand. Diese Figur fesselt Hampton seit Jahren. Er schrieb 2003 ein Stück darüber, „The Talking Cure“, das zur Grundlage des Hollywood-Films „A Dangerous Method“ wurde. Für Wien ging er noch einmal über den Text – eine echte Verbesserung. Und Daniel Kehlmann hat ihn elegant ins Deutsche übersetzt, also kann wieder von einer Uraufführung gesprochen werden.

Trautes Glück neben Sadomaso-Spielen

Spielrein, diese an Hysterie leidende, hochbegabte jüdische Russin, ist die ideale Projektion, um ein komplexes Thema sinnlich darzustellen. Sie wird von Martina Ebm exzellent gespielt, wohldosiert im beschädigenden Exzess, gefühlvoll in der Intimität. Das hilft diesem kopflastigen Gedankendrama mit seiner braven, oft auch statischen Serie an leicht ironischen Dialogen, die sich auf einer meist in Hälften gespaltenen Drehbühne (Tim Goodchild) wie in einem Reigen abspielen. Der aber wird gekonnt inszeniert. Da beschäftigt sich Jungs Gattin Emma (Alma Hasun) auf der linken Seite still mit der Tochter, während rechts ihr Gatte mit der masochistisch veranlagten Patientin leidenschaftlichen Sex praktiziert. Oder das Ehepaar sitzt links beim Tee, während rechts Fräulein Spielrein auszuckt und ruhiggestellt wird. Eine Drehung, man sieht Freuds Praxis. Parallele Welten. Oder die Räume schließen sich zu einem Narrenturm mit vergitterten Fenstern hoch oben.

Die Szenen haben meist etwas Klinisches an sich, durch zwei Rollen wird es durchbrochen: Lustvoll spielt Florian Teichtmeister den triebhaften, drogensüchtigen Freud-Eleven Otto Gross, der hier zum Auslöser für Jungs Affäre wird. Und Therese Lohner gibt eine Krankenschwester, die den brutalen Alltag in Kliniken glaubhaft vermittelt. Sie beobachtet, schweigt. Dann schickt der Arzt sie weg, vor der nächste „Sprechkur“.

In diesen Gesprächen zeigt sich Spielreins hohe Intelligenz. Man meint, sie allein hätte die entscheidenden Zusammenhänge von Eros und Tod erkannt. Tatsächlich ist „Eine dunkle Begierde“ auch als Enttarnung von übertriebenem männlichen Ego lesbar. Gegen Ende zu öffnet sich Jahre später Jungs duldende Gattin ihrer einstigen Rivalin, die nun auch verheiratet und schwanger ist. Emma gesteht, dass sie vor ihrem Mann eigene intellektuelle Fähigkeiten wohlweislich versteckt, dass sie von seinen Affären gewusst habe. Sie möchte selbst Therapeutin werden. Es scheint höchst an der Zeit, dass sich die Männer auf die Couch legen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 29.11.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.