Schauspielhaus: Taumeln in Brechts Universum

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"Johnny Breitwieser - eine Verbrecherballade aus Wien" von Thomas Arzt wirkt zu epigonal. Blendend: Alexander Charims Inszenierung und die Schauspieler.

Wer heute Brecht liebt, weiß wohl, dass seine Verdienste nicht in der Politik, sondern in der Poesie lagen: Ob „Pflaumenbaum“ oder „Der gute Mensch von Sezuan“, nicht Agitprop hat B.B. unsterblich gemacht, sondern seine Mischung aus abgründiger Melancholie und neusachlicher Moderne, die Abbildung des Zarten im Brutalen. Bei Thomas Arzt, dessen Verbrecherballade „Johnny Breitwieser“ Freitagabend im Wiener Schauspielhaus uraufgeführt wurde, fängt das Problem schon beim Plan an: Er wollte auf den Spuren von Brechts „Dreigroschenoper“ wandern und ein Stück über das Prekariat schreiben, erklärt er im Programmheft. Schön. Aber, man merkt die Absicht und ist verstimmt.

Bei Sätzen wie „Die Welt ist eine Sau/Wir wissen es genau“ oder „Je später die Nacht/Umso offener zeigt sich das Kapital“ weiß man nicht, ob man lachen oder weinen soll. Arzt hat viel Material über den echten Johnny Breitwieser und seine Zeit studiert: Der 1891 geborene Meidlinger war so eine Art Robin Hood, der sich vom Straßenkind zum Gentleman-Gauner entwickelte. Doch das Stück dekliniert allzu bekannte Schemata durch: der Strizzi, seine reine Liebe, die Bankiersfrau, der Bruder, der Cop,... Einige Szenen sind großartig: Zu Beginn humpelt Nicola Kirsch als Luise, Breitwiesers „Volk“, auf die Bühne, die hübsche Frau liefert die punktgenaue Studie einer uralten Bettlerin. Dann treffen sich der Held und der Cop, die Atmosphäre ist elektrisch geladen vor Hass, Johnny scheint den Cop zu hypnotisieren, er nimmt ihm die Pistole weg und verstümmelt ihn. Insgesamt aber krankt das Drama an einem wenig innovativen Umgang mit älteren Formen, eben Brecht oder Film noir.

Den Kitsch einfach todernst nehmen

Regisseur Alexander Charim und seinem Ensemble wäre besserer Stoff für ihre Mühe zu wünschen gewesen. Charim, Sohn des bekannten Galeristen, der u.a. Germanistik, Geschichte studiert und vor allem in Deutschland Musiktheatererfahrung gesammelt hat – auch am Schauspielhaus hat er bereits inszeniert –, nimmt den Kitsch einfach todernst und macht das Allerbeste daraus. Er lässt die Akteure kämpfen und toben, ohne dass sich wie sonst oft bei Exzessen im Theater Übermüdung und Überdruss einstellen. Die mit einer Pause fast dreistündige Aufführung marschiert schlafwandlerisch sicher durch zornige, gespannte und ruhige Phasen, Ton, Tempo stimmen perfekt, wie bei einer guten Opernproduktion.

Der Kalifornier Jherek Bischoff hat für „Johnny Breitwieser“ eine Art klassische Filmmusik komponiert, sie unterstreicht die Dramatik des Geschehens, hält sich manchmal aber auch diskret im Hintergrund und übersetzt gewissermaßen die manchmal ungeschminkte Krassheit des Pop in die noble Welt des Streichquartetts, dessen gefährlichen Untergrund Thomas Bernhard so treffend beschrieben hat. Ivan Bazak stattete die altmodische Ballade modern aus: Eine Wand mit Eisenstäben markiert die Trennung zwischen den gesellschaftlichen Klassen, ist aber auch selbst ein Instrument, wenn z.B. der Polizist Johnny im Gefängnis schikaniert. Die Bankiersfrau trägt Blaufuchs, Johnny einen weißen Anzug, „seine Liebe“ Anna ein „kleines Schwarzes“, obwohl sie nach der Abtreibung von Johnnys Kind ihren Körper verkauft. Alle wollen hier woandershin und jemand anderer sein, als sie sind, kein Wunder, das Elend ist groß und den letzten Rest der Hoffnung vernichtet der Erste Weltkrieg.

Die Schauspieler würden das Burgtheater zieren, diese Leute können alles spielen, und das mit unglaublicher Verve: Martin Vischer umhüllt Johnny mit einem Hauch Clark Gable, Franziska Hackl berührt als Anna mit ihren typischen Mädchenenttäuschungen, Katja Jung begeistert als Society-Lady Greta, die keine Liebe, nur herzlose Gatten findet. Carl (Thiemo Strutzenberger) versucht, seinen Bruder, Johnny, zu zügeln, ist aber womöglich viel irrer als dieser.

Florian von Manteuffel bleckt als rachsüchtiger Kieberer die Zähne. Und wohin verschwindet am Ende Wenzl (Gideon Maoz), der treueste Diener seines Herrn, Johnny? Das Publikum mit vielen „Promis“ jubelte. Dennoch: Das Stück bietet zu wenig Eigenes, zu viele Klischees und Plattitüden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 01.12.2014)

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