Musical: Chinas Liebe für westliches Entertainment

(c) Vereinigte Bühnen Wien
  • Drucken

Viel Applaus und noch mehr Handys: Die Vereinigten Bühnen Wien gastieren mit „Elisabeth“ in Shanghai. Der Boom im Land erfasste auch die Kultur. 1000 neue Museen sollen entstehen – und ein Broadway nach New Yorker Vorbild.

Cher Lee ist 24 Jahre alt und unsere Führerin in Shanghai. Die Vereinigten Bühnen Wien (VBW) haben Journalisten zum Gastspiel von „Elisabeth“ im Shanghai Culture Square Theatre eingeladen. Wiens Musical-Konzern baut seit Jahren seine internationalen Aktivitäten aus, u. a. in Fernost. In Japan ist „Mozart!“ zu sehen, „Rebecca“ und „Rudolf“ reisten nach Seoul. Die Brüche zwischen den Generationen in China – der Weg vom Kommunismus zum „kommunistischen Kapitalismus“ – spiegeln sich auch in der Kultur wider. Ältere gehen in die Peking-Oper, Jüngere bevorzugen westliches Entertainment. Cher Lee gehört also zum Zielpublikum. Was erzählt die junge Frau? Sie stammt aus Taiwan, seit elf Jahren lebt sie mit ihrer Familie in China.

Der Vater werkte in der Werbewirtschaft und machte sich mit einer Konsulentenfirma selbstständig. Cher Lee, eine von drei Töchtern, hat in Vancouver Psychologie studiert, was hält sie von Freud? „Interessant, aber ich finde, er fokussiert sich zu sehr auf das Sexuelle“, sagt sie. Im Winter macht sie Urlaub mit dem Snowboard auf der japanischen Insel Hokkaido. Sie war auch schon auf Europa-Reise, schwärmt von Venedig und Paris. Wien hat Cher Lee noch nicht besucht. Aber sie kennt wie viele Chinesen die „Sissi“-Filme mit Romy Schneider. An „Elisabeth“ gefällt ihr vor allem die Musik. Was sie total begeistert, ist das Theater als solches, Maske, Kostüme, der Betrieb. Hier arbeitet sie als Volontärin, hauptberuflich bei ihrem Vater.

Börse, Blumenmarkt, heute Theater

Das glamourös-protzige Shanghai Culture Square Theatre steht in einem Park, in den 1920er-Jahren besaß der French Race Club das Areal, nach 1949 wurde dort ein Zentrum für Kultur und Politik mit 15.000 Sitzplätzen errichtet. 1969 gab es einen Brand. 1970 wurde das Gebäude wieder aufgebaut und als Theater genutzt. In den 1990ern war dort die Börse von Shanghai untergebracht.
Ab 1997 beherbergte der Bau den größten Blumenmarkt im Osten Chinas. 2011 wurde das Shanghai Culture Square Center nach fünfjähriger Renovierung als Theaterkomplex mit 1950 Sitzplätzen wiedereröffnet. Hier gibt es einfach alles, Spartentrennung wie in Europa ist unbekannt. Nach der „Elisabeth“-Serie mit 40 Vorstellungen bis Mitte Jänner kommen die irische Kompanie Riverdance, das Ballett „Swan Lake“, das chinesische Musical „In Love with Teresa Teng“ und das internationale Musical „Ghost“. Das „Elisabeth“-Gastspiel soll den VBW Einnahmen im sechsstelligen Eurobereich bescheren, erklärt VBW-Generaldirektor Thomas Drozda.

Allerdings ist die 22 Jahre alte Produktion, die von Harry Kupfers großartiger Inszenierung, noch mehr aber von Hans Schavernochs Bühnenbild voll toller Wien-Werbung profitiert, nach Shanghai noch in Deutschland (Essen, München, Berlin) und in Linz zu Gast, was mehr Geld bringen dürfte als die doch recht kompliziert klingende Expedition nach Shanghai mit vierjähriger Vorbereitung und einem Tross von bis zu 80 Leuten, samt Orchester.
Immerhin, die chinesischen Partner finanzieren das Gastspiel. 2016 ist an eine Lizenzproduktion von „Elisabeth“ in Mandarin gedacht. „Mozart“ geht erneut auf Tour nach Asien. „Elisabeth“ wird in Tokio und Seoul gezeigt, „Der Besuch der alten Dame“ ebenfalls in Tokio. Die VBW, die wegen ihrer hohen Subventionen in der Heimat immer wieder politisch unter Druck stehen und vor allem von den Grünen herb kritisiert werden, können mit ihren internationalen Aktivitäten auf die „Umwegrentabilität“ für den Wien-Tourismus verweisen.
Auch die Salzburger Festspiele präsentieren sich seit drei Jahren in China; zwar kommen nach wie vor 50 Prozent der Festspielbesucher aus Deutschland, aber China ist auch für das kostspielige Elite-Festival ein Wachstumsmarkt. Die Chinesen überrollen uns wirtschaftlich, in den Westen schicken sie ihre Konsumgüter, in Afrika schließen sie Kontrakte für Rohstoffe ab, so liest man immer wieder, die Angst vor der „gelben Gefahr“ ist nicht neu. 1973 veröffentlichte der französische Schriftsteller und Politiker Alain Peyrefitte sein viel besprochenes Buch „Wenn China sich erhebt, erzittert die Welt“.

Weniger oft die Rede ist von den offenbar florierenden Geschäften mit Investitions-und Konsumgütern, die der Westen in China macht. Nicht nur Raubkopien werden verkauft, in Shanghai sind auch alle großen Marken wie Hermès, Chanel, Burberry mit Flagship-Stores oder Textilketten wie Zara oder H & M vertreten. Die Menschen begeistern sich sichtlich für westlichen Lebensstil, von den Milchprodukten bis zum Wein.

Hemmnisse: Hohe Preise und Zensur

Seit 2007 hat Shanghai alljährlich im September die bedeutendste Kunstmesse in Asien. 1000 neue Museen sind in China geplant. Auf westlichen Kunstmessen (Maastricht) sind Chinesen wichtige Käufer. Galeristen, Antiquitätenhändler aus Europa, den USA eröffnen Filialen in Peking und Shanghai. Chinesische Städte renovieren ihre Kulturzentren aus kommunistischer Zeit oder bauen neue. Und während in Wien wie auch in Deutschland, Europa die Theaterlandschaft eher in der Krise ist und Bühnen um staatliche Unterstützung kämpfen müssen, entsteht in Peking ein Broadway nach New Yorker Vorbild mit mehreren Neubauten. Hier entwickelt sich für Theater-, Kultur-, Tour-Unternehmen aus dem Westen ein lukrativer Wirtschaftszweig. Allein das durch seine Geschichte weltoffene Shanghai hat 23 Millionen Einwohner. Allerdings gibt es auch große Hemmnisse, Bürokratie und Zensur.

Ein Musical wie „Les Miserables“, in dem ein Aufstand gegen die Regierung blutig niedergeschlagen wird, ist heikel, vollends untragbar sind Produkte wie „Miss Saigon“: US-GI schwängert Vietnamesin, die Selbstmord begeht, nachdem er sie verlässt. Auch können junge Leute mit einem Durchschnittsjahreseinkommen von 4000 Euro kaum daran denken, Musical-Tickets für 30 bis 150 Euro zu erwerben. Die „Elisabeth“-Premiere in Shanghai kam dennoch gut an, zumindest nach dem freundlichen Applaus und den zahllosen in die Höhe gehaltenen Handys zu schließen, mit denen das Publikum filmte – was genauso wie bei uns verboten ist.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.12.2014)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.