Niavarani: Der Theater-Messias von Neu-Marx

Michael Niavarani hat eine Komödie aus dem Klassiker gemacht.
Michael Niavarani hat eine Komödie aus dem Klassiker gemacht.APA/HERBERT PFARRHOFER
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Shakespeare für Anfänger von und mit Michael Niavarani im „Globe Wien“: „Richard III.“ als Komödie, sehr derb, ganz lustig, auf jeden Fall: Ein interessantes Phänomen.

Einige Kritiker rümpften die Nase – und tatsächlich: „Richard III.“ weicht von der Original-Tragödie stark ab, von der Schwere her sowieso, schließlich hat Michael Niavarani eine Komödie aus dem Klassiker gemacht, aber auch wegen der - sagen wir - teilweise schwachen Schauspieler, mit denen sich der Publikumsliebling umgibt. Die meisten Mimen in dieser Produktion sind keine Charakterdarsteller auf Wiener Großbühnen-Niveau, sondern erinnern mehr an das alte Sommertheater in Niederösterreich. Seit 7. 10. läuft das „Richard“-Spektakel in der Marx-Halle „Globe Wien“, Anfang Dezember war die offizielle Premiere, da waren schon über 34.000 Karten verkauft, bis März 2015 sind keine Tickets zu haben. „Die Presse“-Chronistin besuchte die Aufführung zweimal, einmal im Oktober und einmal vergangenen Freitag.

Niavarani, der im Programmheft und auch in Interviews bekannte, dass er sich nur schwer an den langweiligen Shakespeare gewöhnen konnte, den er aber inzwischen liebt, hat sich intensiv beschäftigt mit dessen Theater. Sein Konzept allerdings ist nicht neu. Bereits die 1968er-Theater-Revolutionäre gruben den „echten“, derben Shakespeare aus, den die Übersetzungen der Romantik (Schlegel-Tieck) zugedeckt hatten. Wenn in den 1980er Jahren Gert Voss als Richard III. in Claus Peymanns Inszenierung im Burgtheater als „Dreckskerl!“ beschimpft wurde, zuckten manche Besucher zusammen. Heute hat sich die Schraube des Ordinären deutlich weiter gedreht. Wer bisher nicht wusste, was eine Arschwarze ist, erfährt es im „Globe Wien“ und das ist noch eines der milden Worte.

Himmlische Poesie und höllische Vulgarität gehören aber bei Shakespeare, soviel steht fest, zusammen. Interessanter ist, dass dieser „Richard“ viel mit Kabarett zu tun hat. Schon Shakespeare war wohl skeptisch gegen Herrscher und Kirche, er musste aber auf die Zensur Rücksicht nehmen wie jeder Dramatiker in der Vergangenheit. Niavarani gibt alle Mächtigen pointiert der Lächerlichkeit preis, er zeigt sie als Gangster- und Gangsterinnenbande, die nur in Fahrt kommt, wenn es wen zu dreschen gilt, und ansonsten beschäftigungslos und fadisiert vor sich hin völlert. Wenn einer aufhören, Frieden schließen oder sonst wie aus der Schlachtreihe tanzen will, ist er bald tot. Hemmungslos plündert Niavarani die Requisiten-Kammer der Humoristen: die Fusion von Farkas, Waldbrunn und den Mechanismen ihrer berühmten Conférencen zwischen dem G'scheiten und dem Blöden bis Löwinger-Bühne, Tschauner, Pradler Ritterspiele ist atemberaubend - und wie die meisten Gerichte, in denen zu viel drin ist, schmeckt das Mahl etwas fremd und streng. Stinken auf der Bühne und im Text ist ganz wichtig. Eine Prise Nestroy und viel angelsächsische Stand-up-Comedy runden die wilde Mischung ab.

Die Aufführung ist sehr wienerisch, gespickt mit vielen Dialektausdrücken, das macht einen wichtigen Teil ihres Erfolgs aus. Aber auch Shakespeares Hochsprache wirkt durchaus perfekt einstudiert. Es wird deutlich, dass Sprache ein Machtmittel ist: Ihr hoch gestochenes Reden macht die Angehörigen des Hofes verdächtig, und richtig: Sie lügen und betrügen. Erzählt wird die Story aus der Perspektive des Kochs Frederick Dighton (Bernhard Murg) und des Schusters (Niavarani), die zwei sind köstlich, ebenso Richard III. (Michael Pink). Bühnenzauber gibt es keinen, die Szene ist wie bei Shakespeare karg, das Schönste an dieser die Hässlichkeit der Welt mit großer Komik feiernden Aufführung ist das Ensemble Unicorn mit seinen Original-Instrumenten und Musik der Renaissance. Die stärksten Szenen gibt es nach der Pause, wenn das Publikum nach einer relativ langen und zähen Anlaufphase „aufgewärmt“ ist und auf unheimliche Weise mitspielt, indem es für Richards Krönung stimmt und sogar Mitleid mit dem armen „Krüppel“ zeigt.

Das Ambiente des „Globe Wien“ mit rotem London-Bus und Guinness-Bier ist herrlich rustikal, aber auch ein bisschen „Bobo“: Es gibt Würstel mit Senf, aber auch ein Lunchpaket mit eher grauslichen Sandwiches, Pimms No 1, Whisky und Gin Tonic à la Queen Mum – mit Gurke.

Die Produktion bekommt keine Subventionen. Ein bisschen dürfen sich die Wiener Bühnen schon schämen, dass es ihnen noch nicht gelungen ist, eine derart prächtige Mixtur von Bildungsgut und Entertainment herzustellen, wiewohl Burgtheater, Josefstadt oder Volkstheater unterhaltungsmäßig in den letzten Jahren aufgerüstet haben. In einem Interview hat Niavarani angekündigt, er wollte als nächstes im „Globe Wien“ „Timon von Athen“ zeigen, ein Stück über den Kapitalismus, wie er findet.

Wer hätte gedacht, dass man mit einem präzis durchdachten Shakespeare-Programm - das schleißiger und volkstümlicher aussieht als es tatsächlich ist und auf jeden Fall nah bei den Theater-Ideen der Shakespeare-Zeit - nach all den Experimenten mit diesem Autor („Shakespeares Werke, leicht gekürzt“ usw.) noch eine so tolle Marktlücke finden kann? Eins wäre freilich wünschenswert für die Zukunft: Mehr wirklich gute Schauspieler, eine etwas exaktere Regie – nach dem Erfolg mit „Richard“ sollte es Niavarani nicht schwer fallen, ein paar erstklassige Profis zu gewinnen. Die üppige Wiener Hochkultur bietet dafür gewisse einige „Ressourcen“.

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