"Community": Das Schauspielhaus Graz im Belagerungszustand

(c) HANS KLAUS TECHT / APA
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Regisseurin Yael Ronen schafft gewitzt ein Spiel im Spiel: Was wäre, wenn nach einer weiteren schweren Wirtschaftskrise Theater zusperren müssen? In ihrem leichtgängigen Stück besetzt das Ensemble sein eigenes Haus und versucht, als Kommune samt Publikum zu überleben.

Man stelle sich vor, es ist Premiere – und das Schauspielhaus Graz wird besetzt. Die Schauspieler sagen im Foyer per Megafon die normale Aufführung ab und führen das Publikum stattdessen auf die von Sylvia Rieger vollgeräumte Bühne. Von Angesicht zu Angesicht sieht man nun die Hausbesetzer, sie verwickeln Gäste in Gespräche. Dieses Metaspiel zum Spiel hat die israelische Regisseurin Yael Ronen (*1976) in ihrem gemeinsam mit dem Ensemble erarbeiteten Stück „Community“ leichtgängig umgesetzt und damit in Graz seit 2012 einen dritten Erfolg in Serie erzielt. Am Samstag gab es die ausgiebig bejubelte Uraufführung.

Die Handlung: Wir befinden uns im Jahre 2018. Eine Wirtschaftskrise hat drei Jahre zuvor in ganz Europa Chaos geschaffen. Die Arbeitslosigkeit beträgt 40 Prozent. Das Grazer Schauspielhaus wurde geschlossen, dort soll bald ein Luxushotel entstehen. Aber die Schauspieler haben das Haus besetzt, leben in einer Kommune, fast als Selbstversorger.

In diese Situation werden die Zuseher gezogen. Viele lassen es willig zu. Grazer Honoratioren, die als 68er vielleicht Erfahrungen mit alternativen Lebensformen gemacht haben, gehen sentimental lächelnd über die bis zur Feuermauer geöffnete Bühne, bestaunen ein Bio-Klo (das später explodiert), ein Strom generierendes Rad, ein Treibhaus, allerlei Kram und ein Matratzenlager, wo die Kommunarden gemeinsam schlafen. Dann heißt es aber: zurück zu den Sitzen.

In Ronens Stück hat erneut ihr Bruder Michael (ebenfalls Theatermacher) eine Gastrolle. Hier spielt er eine Art Coach, er erzeugt mit schlechtem Deutsch und Clownerie ein hohes Maß an Esprit. Die übrigen Schauspieler stellen sich ebenfalls mit ihren echten Namen vor, sie erzählen von Krisen, auch persönlichen – wer mit wem und warum nicht mehr. Fakten und Fiktionen sind raffiniert gemischt, die vierte Wand bricht ständig ein. So erfährt man die angeblichen Schicksale von Katharina Klar, Sebastian Klein, Kaspar Locher, Birgit Stöger und Jan Thümer, die den meisten im Publikum seit Jahren bekannt sind. Jetzt mimen sie Sexsüchtige, Alkoholiker, Rampensäue, Eifersüchtige, Liebende, Pragmatiker. Menschen eben. Am meisten sei ihrer Community nach dem Kollaps der Applaus abgegangen, gestehen sie. Anfangs hätten sie sich selbst applaudiert. Sie wollen, dass man aufmerksam zuschaut, sonst habe das Spiel keinen Sinn.

Vergewaltigungen, Helden, tote Kinder

Schon zitieren sie aus alten Rollen, tragen auch alte Kostüme. Stöger führt vor, wie oft sie in Vergewaltigungsszenen eingesetzt wurde, Klar macht bewusst, wie oft Frauen in ihren Rollen den Herren Protagonisten bloß zuhören müssen. Wie zum Beweis drängt sich Thümer vor, erklärt sich zum Star und zieht seine Show als Hamlet und Siegfried ab. Locher schillert zwischen einem gemütlichen und rabiaten Schweizer, Klein spielt den angeblich Naiven, aber das ist selbst in der Rolle vorgetäuscht. Er ist eine treibende Kraft bei der Besetzung. Bevor die Kabinettstücke in reinen Klamauk abgleiten, wird es ernst. Thümer erzählt von einer verzweifelten Mutter, die bei der Räumung der Wohnung ihr Baby vom Dach warf. Der Schauspieler leidet, kotzt, wird getröstet. Ätsch! Alles erfunden! Tiefsinn gibt es nur in homöopathischen Dosen, Ironie im Übermaß. Das Intelligente an der Regie sind die überraschenden Wendungen, das Wissen darum, dass dieser charmante Einfall vom Theater im Belagerungszustand nicht überdehnt werden darf.

Ja doch, wir kennen die Krise, und so könnte es wirklich sein, man liest darüber täglich in der Zeitung. 17.600 Menschen in Graz sind arbeitslos. So ist es. Und schon hört man Sirenen, Rotorgeräusche. Das Haus soll geräumt werden. Krisensitzung. Das Ensemble verschanzt sich, bittet das Publikum um Mithilfe im Kampf für die gemeinsame Sache: „Theater ist doch kein Gebäude, es ist eine Idee!“ Großeinsatz, falsches Tränengas. Da fällt der Vorhang. Die Darsteller sind mit den Zusehern von der Bühne abgeschnitten. Es ist kaum zu glauben, dass nach nur 70 Minuten (inklusive Vorspiel) Schluss sein soll. Man meinte doch beinahe, von Beginn an Teil dieser Kommune gewesen zu sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.12.2014)

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