Cirque Noël in Graz: Bruchlandung im Goldfischglas

(c) Nikola Milatovic
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In „Ode to a Crash Landing“ erzählt der schwedische Cirkus Cirkör vom Wiederaufstehen nach einer Katastrophe. Den Rehabilitationsprozess, der hier akrobatisch vollzogen wird, hat der Leiter der Compagnie selbst durchlebt: Er war nach einem Sturz vom Hals abwärts gelähmt.

„Circus is all about the risk“, sagt einer der Artisten ins Mikrofon. Im schwedischen Cirkus Cirkör weiß man, wovon er spricht: Der künstlerische Leiter der Truppe, Olle Strandberg, landete 2005 beim Versuch eines dreifachen Saltos nach nur zweieinhalb Umdrehungen auf dem Kopf. Er hörte zwei Halswirbel brechen, sein Rückenmark war beschädigt, er war vom Hals abwärts gelähmt. Heute ist er zum Glück wieder gesund. „Ein Sturz kann deine Existenz auf den Kopf stellen“, resümiert er. „Aber zweifellos ist ein Zirkusstunt das wert.“ Bei der Konzentration vor einem Sprung sei man so nackt wie selten vor dem Publikum. „Diese Ehrlichkeit macht den Zirkus so unglaublich.“

In „Underart – Ode to a Crash Landing“, das noch bis 6. Jänner im Rahmen des Cirque Noël im Grazer Orpheum gezeigt wird, erzählt die Compagnie vom Wiederaufstehen nach einer Bruchlandung. Auf etwas chaotische, ziemlich verträumte Weise und in bedächtigem Tempo wird da der eigene Körper zur Puppe, deren Bewegungsapparat nach einem Sturz langsam wieder in Schwung gebracht werden muss. Ineinander verschlungene Körper tragen einander über die Bühne, hangeln sich vom pantomimischen Trockentraining zum fertigen Manöver und bauen sich komplizierte Hindernisse aus Stecken und Holzlatten, um sie dann akrobatisch zu überwinden. Dass körperliche Schwächen und die eigene Beweglichkeit zum Thema werden, sorgt durchaus auch für Komik: etwa wenn sich ein stämmiger Turner – während im Vordergrund eine anmutige Hebefigur gezeigt wird – wie ein Baby an seinen Kollegen klammert.

Alles fließt hier: Die fünf Artisten – hipsterhaft gekleidet im lachsrosa Hemd und in türkiser Polyesterjacke – springen nicht, sie gleiten. Perfekt untermalt wird die Show von der Musik von Anna Ahnlund und Andreas Tengblad alias Ripple & Murmur. Das junge Multiinstrumentalistenduo aus Stockholm hat einen Mix aus Indiepop und Jazz mit psychedelischer Färbung komponiert, der nicht nur als Hintergrundmusik taugt: Wenn sich auf der Bühne nichts bewegt, also in Verschnaufpausen oder während des Balanceakts eines Artisten auf zwei stehenden Holzlatten, wird die Show zum Konzert.

Preisgekrönte Artisten

Seit 2008 veranstaltet das Grazer Straßentheaterfestival La Strada über Weihnachten den Cirque Noël und holt dabei internationale Cirque-Nouveau-Gruppen nach Graz. Der Cirkus Cirkör wurde gegründet, um den zeitgenössischen Zirkus in Schweden zu etablieren, heute betreibt er eine umfangreiche Ausbildungsschiene und tourt mit zwei Großproduktionen pro Jahr um die Welt. In „Ode to a Crash Landing“ sind preisgekrönte Künstler zu sehen: Alexander Dam etwa, Weltmeister im Street Dance, der in Salzburg studiert hat und zum ersten Mal im Cirkus Cirkör auftritt, und die in Thailand geborene Methinee Wongtrakoon, die als erste Zirkuskünstlerin mit dem renommierten schwedischen Bernadotte Art Award ausgezeichnet wurde.

Sie war auch dabei, als Strandberg stürzte – der Albtraum eines jeden Artisten. Dass er sich heute wieder uneingeschränkt bewegen kann, grenzt an ein Wunder, seine Dankbarkeit kommt glaubhaft auch in der Show zum Ausdruck. Und wenn die Dramaturgie zuweilen auch etwas müde wirkt, ist die Performance ein ästhetisches Erlebnis großer Klasse. Der akrobatische Rehaprozess kulminiert in einer überraschenden Szene: Die Artisten stecken im Kopfstand in Goldfischgläsern. Verletzlichkeit, Ausdauer, Geduld und das erstaunliche Verlangen nach mehr Risiko – das alles kommt in einem letzten, schrägen Bild zum Ausdruck. Wunderbar.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.12.2014)

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