Puppentheater: Wir Herren Karl

Herr Karl
Herr Karl(c) Schubert Theater / Sabine Hauswirth
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Burgtheater. Der „Herr Karl“ kann in jedem von uns stecken, lehrt Nikolaus Habjan in der Puppenversion des Klassikers.

„Wiener Blut“ jault aus dem Grammofon, drei Puppen baumeln an Haken aufgehängt von der Decke der Burgtheaterbühne: ein Trinker am Kaffeehaustisch, ein stattlicher Kellner, eine blonde Dame hinter der Bar. Wer von ihnen wird wohl der „Herr Karl“ sein, jener von Helmut Qualtinger und Carl Merz kreierte schmierige, opportunistische und elendig selbstmitleidige Mitläufer, sozusagen die Personifikation alles Widerlichen in der österreichischen Seele?

In der Puppentheaterversion (Regie: Simon Meusburger) sind sie alle der Herr Karl: Der Grazer Puppenspieler Nikolaus Habjan schlüpft abwechselnd mit Hand und Stimme in die Puppen und lässt sie von früheren Zeiten schwärmen, von früheren Zeiten klagen, es war ja alles besser, nein furchtbar, man musste es sich eben richten. Der Herr Karl ist moralisch flexibel: Er demonstrierte für fünf Schilling für die Partei, die gerade angesagt war, Opfer war er natürlich immer.

Sudern über das Rauchverbot

Die Vielschichtigkeit des verachtenswerten Charakters kommt durch die Aufteilung auf mehrere Klappmaulpuppen schön zum Ausdruck. Der Kaffeehausgast zählt die politischen Ereignisse herunter, an denen er selbst stets als aktiver Schaulustiger beteiligt war, der adrette Kellner referiert über Liebschaften, Jobs und Leben im Gemeindebau. Die Dame an der Bar hat sich stets bereichert, andere ausgenutzt. Immer wieder interagieren die Puppen miteinander, machen einander Vorwürfe, tanzen und schmusen.

Es ist ein amüsantes Spiel, dabei stets ermahnend und gefährlich authentisch – obwohl, oder vielleicht gerade weil Habjan moderne Anspielungen eingebaut hat. Herr Karl jammert nicht nur über die Inflation, sondern auch über das Rauchverbot im Café: „Is aber blöd. Wegen da EU?“ Klingeltöne und Husten aus dem Publikum knüpft er geschickt in den Text ein. Er bringt zum Lachen, das Lustige hat dabei aber einen bitteren Beigeschmack: Denn der Herr Karl begegnet uns auch im Alltag, im Kaffeehaus, auf Facebook und manchmal sogar in der eigenen Familie. Man lächelt verschämt und weicht ihm gern aus. Habjan lässt sein Publikum aber nicht davonlaufen. Während er fließend von einer Ausformung des Charakters in die nächste wechselt, zeigt er, dass das Abgründige im Menschen gleich hinter der Oberfläche lauert und dass sich Qualtingers Dicker mit dem Schnurrbart in jedem von uns verstecken könnte.

Dabei nimmt er sich auch selbst nicht aus: Am Ende der Vorstellung, nachdem er seine Puppe von der Bühne geschleudert hat (Dienstschluss!), hängt er plötzlich selbst am Haken wie eine leblose Marionette.

„Der Herr Karl“ als Puppentheater wurde erstmals 2010 aufgeführt, zur Neujahrsvorstellung gab Nikolaus Habjan ein Gastspiel im Burgtheater. Der Puppenspieler ist demnächst u.a. in „Das Missverständnis“ im Grazer Schauspielhaus, in „Max'n Morizz“ im Landestheater Linz und mit „Schlag sie tot“ im Schuberttheater in Wien zu sehen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.01.2015)

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