Josefstadt: Triumph für Gregor Bloéb als Boxer

THEATER IN DER JOSEFSTADT: DER BOXER
THEATER IN DER JOSEFSTADT: DER BOXER(c) APA/ERICH REISMANN (ERICH REISMANN)
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Stephanie Mohr inszeniert filmisch und mit einem feinen Ensemble Felix Mitterers neues Stück über den Mord an Roma und Sinti im Dritten Reich. Der Text berührt, ist aber auch teilweise papieren und nicht frei von Klischees.

Ist er das überhaupt? Gregor Bloéb – der in der Josefstadt zuletzt in der Nazi-Satire „Sein oder Nichtsein“ (Kammerspiele) und als Wehrdienstverweigerer Jägerstätter beeindruckte – wirkt völlig verändert. Aus dem hünenhaften Mannsbild ist ein zarter, dennoch durchtrainierter Boxer mit schwarzen Locken geworden, der tänzelnd den Punchingball rotieren lässt. Monatelang hat sich Bloéb mit Gerhard Ausserlechner, Trainer von Ski-Stars wie Benni Raich oder Niki Hosp vorbereitet – auf seine Rolle als Johann „Rukeli“ Trollmann, „Der Boxer“. Felix Mitterers Stück wurde am Donnerstagabend im Theater in der Josefstadt uraufgeführt.

Nur kurz hat Bloéb Gelegenheit, seine neu erlernten Künste zu zeigen. Rasch wird der fröhliche, freche Runkeli, der sich nachts in Kneipen herumtreibt, blonde und andere Frauen liebt und in den 1920er-Jahren eine Blitzkarriere als Boxer erlebte, gefällt. Denn der junge Mann ist Sinto, nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 wird er zunächst zur Wehrmacht eingezogen, dann aber ins KZ gebracht, wo er 1944 stirbt, erschlagen von einem Kapo. Bloéb dominiert mit seiner Verwandlung vom strahlenden Helden zum geschundenen Häftling, der im Ziegelwerk arbeitet und für den Lagerkommandanten boxen muss – wobei der Verlierer jeweils erschossen wird – die Aufführung in atemberaubender Weise. Intensiv und voll Empathie hat sich Mitterer mit dem Milieu der von den Nationalsozialisten verfolgten und vernichteten „Zigeuner“ beschäftigt; obwohl, ist es wirklich typisch für eine „Volksgruppe“, wenn Leute vom Wandern, vom freien Leben in der Natur träumen, sich von Emotionen leiten lassen oder im Familienleben miteinander kuscheln und einander auf den Mund küssen? Solche Art Herzlichkeit gibt es vielleicht auch unter Menschen, die keine Sinti oder Roma sind. Vor Klischees sollte man sich jederzeit hüten.

Solide Schwarzweiß-Malerei

Irritierender ist die schematische Zeichnung der Nazi-Schergen. Im Vergleich zum SS-Offizier Amon Göth (Ralf Fiennes) in „Schindlers Liste“ von Steven Spielberg wirkt der SS-Mann Reinhard Wolf eindimensional, allein der Name, dann noch Boxer, SS-Obersturmbannführer, sein Vater schuftete in denselben Lehmgruben wie Rukeli. Wolfs Sadismus ist gänzlich frei von Zwischentönen: Raphael von Bargen spielt diesen Mann mit kantigem Engagement.

Differenzierter und interessanter gezeichnet ist der listige, kalte Technokrat, Dr. Robert Ritter (Dominic Oley), der die „Zigeuner“ ausforscht. Großartig ist auch der Polizist Heinz Harms (Peter Scholz), der die Sinti-Familie schützen will, jedoch Stück für Stück zum Peiniger seiner Freunde „umgedreht“ wird – durch die Macht der Verhältnisse. Rukelis Familie bezaubert mit warmem Temperament und altem Wissen, speziell Elfriede Schüsseleder als Mutter, die dem widerlichen Dr. Ritter aus der Hand liest. Florian Parbs baute ein Bühnenbild mit schwarzen Box-Säcken vor der dunklen Feuermauer. Stephanie Mohr malte souverän und bedachtsam Mitterers etwas holzschnittartige Figuren, aus denen oft ihr Erfinder und seine pädagogische Mission spricht. Damit die Botschaft auch ja klar ist, werden historische Hintergründe im Frontal-Vortrag dem Publikum zur Kenntnis gebracht. So etwas wirkt heute einfach papieren.

„Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch“, Adornos viel zitierter und kontroversiell diskutierter Satz geht einem durch den Kopf an diesem Abend. Wie viel ist seit 1951 über den Nationalsozialismus und seine Gräuel publiziert worden, z. B. Jonathan Littells „Die Wohlgesinnten“, dieses fast 1400 Seiten starke Stück Bestseller-Literatur, das den Schrecken aus der Perspektive von Karrieristen, kundigen Erfüllungsgehilfen eines Systems schildert – und doch dessen archaische Grausamkeit deutlich macht. Wiens Schauspielhaus hievte das Buch auf die Bühne, nicht ganz geglückt, aber wagemutig. Die Josefstädter Aufführung hat großartige Momente, aber sie verfehlt wohl ihre Wirkung, wenn Besucher hinausgehen und sagen: „Toll, der Bloéb! Aber was soll mir das? Das weiß ich eh schon alles.“

Das Boxen, dieser auf manche befremdlich wirkende Sport, den z.B. auch Bert Brecht liebte, erscheint in der Virtuosität, in der sich das Theater diese Kunst hier anverwandelt, nicht angemessen für das, was damit symbolisiert werden soll: die allgegenwärtige Gewalttätigkeit des Menschen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.01.2015)

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