Klagenfurt: Opernkrimi im Karmeliterinnenkloster

(c) Jean-Louis Fernandez
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Der französische Regisseur Richard Brunel wagt sich erfolgreich an Poulencs „Dialogues des Carmélites“.

Es grenzt an ein unternehmerisches Himmelfahrtskommando, an einem Haus fernab musikalisch frankophiler Metropolen wie Wien oder Mailand, Francis Poulencs 1957 an der Scala uraufgeführtes, dem heutigen laizistischen Zeitgeist diametral entgegenstehendes, tief katholisches Werk als Repertoirestück anzusetzen – und tatsächlich war am Ende des dreistündigen Abends wie zu erwarten das Klagenfurter Stadttheater gerade noch zur Hälfte gefüllt. Schon in den letzten Jahren des Carinthischen Sommers war ja offenbar geworden, dass die Affinität des Kärntner Musikgeschmacks zu französischen Traditionen gering ist.

Dies ist wirklich schade, denn in Klagenfurt gelang eine beeindruckend spannende Aufführung dieser spröden Untergangs-Parabel auf höchstem Niveau. Chefdirigent Alexander Soddy hat mit seinem Kärntner Sinfonieorchester akribische Probenarbeit geleistet, da funkeln und blitzen auch die kleinsten Details. Doch das Hauptverdienst der musikalischen Gestaltung lag darin, einen bruchlosen Spannungsbogen über die zweieinhalb Stunden lang, ohne traditionelle Formen wie Arien oder Duette in französischem Sprechgesang, deklamierte Handlung zu wölben – es entstand ein veritabler Opernkrimi, durchsetzt von hochexpressiven, erschütternden Passagen in den instrumentalen Zwischenspielen. Vor allem im zweiten Teil konnte man im Auditorium die sprichwörtliche Stecknadel fallen hören.

Der französische Regisseur Richard Brunel verlegt die Handlung geschickt vom Pariser Revolutionsjahr 1792 in die Gegenwart und begegnet der katholischen Tradition in Gestalt eines Karmeliterinnen-Klosters mit Takt, Kenntnis, Geschmack und Respekt – man traut seinen Augen nicht, da erscheinen die derzeit so gerne zitierten „abendländischen Werte und Traditionen“ ganz plötzlich in anderem Licht als in der gewohnten Haderer-Deix-Seidl-Mainstream-Perspektive. Allein die finale Hinrichtungsszene der Nonnen würde in ihrer Verbindung von Pietät und atemberaubender Spannung jeden Theater-Sonderpreis verdienen. Nein, kein devotes Rührstück war da zu sehen, sondern aufrüttelndes Musiktheater, in dem immer wieder zu erahnen war, was Aristoteles einst mit Katharsis (seelische Reinigung durch Erschütterung), dem Zentralbegriff abendländischer Theatergeschichte, gemeint haben mochte.

Der erste Teil endet mit Mord

Innerhalb des homogenen Ensembles vermochten als hochprofessionelle Singschauspielerinnen zu überzeugen: Marianne Eklöf als ihrem Tod entgegensiechende Priorin mit Klytaimnestra-artigen Panikattacken, Heidi Brunner als stimmschöne, im Hintergrund die Handlungsfäden ziehende Mère Marie und Laura T?tulescu als zwischen Glaubensgewissheit und Todesangst schier zermalmte Protagonistin Blanche de la Force.

Ihr Bruder, mit dessen so klug wie überraschend in die Handlung eingefügten Ermordung der erste Teil des Abends in einem Paukenschlag endet, findet in Ilker Arcayürek einen kultivierten Darsteller. Der Besuch dieser erstaunlichen Aufführung sei uneingeschränkt empfohlen, sie ist eine Reise wert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.02.2015)

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