Theater an der Wien: Der fast vergessene „Barbiere“

(C) Theater an der Wien/ Herwig Prammer
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„Il barbiere di Siviglia“ von Giovanni Paisiello, liebevoll in Richtung Mozart hochgepäppelt von René Jacobs: ein verdienstvoller, aber wenig prickelnder Blick in die Operngeschichte.

Wie ätzte einst Sophia von den „Golden Girls“ zum Thema Einsamkeit im Alter? „Get a poodle!“ Zuletzt ist er wahrlich auf den Hund gekommen, der soignierte Dottore Bartolo: Das erträumte späte Eheglück mit seinem Mündel Rosina kann er sich aus dem Kopf schlagen, denn Graf Almaviva, vom listenreichen Barbier tatkräftig unterstützt, hat ihm die Schöne vor der Nase weggeheiratet – und er, Bartolo, wird mit einem Dackel abgespeist. Dabei wollte er sie gar nicht ihres Geldes wegen ...

Figaro qua, Figaro là: Am Ring ebenso wie am Naschmarkt war am Montag der freche Friseur im Einsatz – aber was für ein Unterschied! In der Staatsoper ging die 404. Aufführung der Rennert-Inszenierung von Rossinis „Barbiere di Siviglia“ über die Bühne, mit der übrigens Ensemble-Urgestein Alfred Šramek als Bartolo sein 40. Staatsoper-Jubiläum feiern konnte. Das Theater an der Wien hingegen warf mit seiner jüngsten Premiere den Blick dreieinhalb Jahrzehnte hinter Rossini zurück, nämlich zum ersten Figaro der Opernbühne aus der Feder von Giovanni Paisiello: Sein 1782 komponierter „Barbiere di Siviglia“ wurde seinerzeit gefeiert und gilt als Meilenstein in der Geschichte der Opera buffa, ist aber längst zur Rarität verkommen – weil ihm Rossinis Remake auf spektakuläre Weise den Rang ablaufen konnte. Und ganz ungerecht erscheint das Urteil der Zeit auch angesichts der aktuellen Bemühungen nicht, die immerhin keine Geringeren anstellten als der entdeckerfreudige René Jacobs am Pult des anschmiegsamen Freiburger Barockorchesters, das (nicht nur) komödienerprobte Regieduo Moshe Leiser und Patrice Caurier sowie ein vorwiegend erfreuliches Ensemble.

Komödie? Nun ja. Gewiss hat sich Paisiellos anonym gebliebener Librettist eng an Beaumarchais' Lustspiel gehalten, doch weiß die Komposition noch nichts von Rossinis späterer, maschinenhaft abschnurrender Brillanz, die genuin musikalischen Witz erzeugt. Hier sind die heiteren Höhepunkte eher spärlich gesät, vor allem bis zur Pause läuft das Geschehen distanziert ab – so wie das Bühnenbild (Christian Fenouillat) zunächst das Unten und Oben von Straße und Beletage in ein Vorne und Hinten übersetzt. Erst danach rückt der Salon Bartolos an die Rampe: Wir befinden uns im Spanien des Franco-Regimes. Politische Anspielungen bleiben aus, aber Leiser und Caurier können so die Geschichte mit ihrer restriktiven Tendenz, der Militärpräsenz und der Sehnsucht nach häuslichem Idyll schlüssig erzählen.

Bartolo als tragikomische Hauptfigur

Prononcierte Blödeleien kommen den Regisseuren ohnehin nicht in den Sinn. Vielmehr erklären sie Bartolo zur tragikomischen Hauptfigur: Pietro Spagnoli rechtfertigt das, singt und spielt den Bourgeois mit kernig-noblem Bariton und verletzter Autorität berührend – bis hin zum versuchten Suizid. Sängerisch reicht André Schuen an ihn heran, der als Figaro das clevere Spiegelbild des Dottore liefert: ein Aufsteiger, der sich immer wieder neu erfinden kann. Die Partitur kommt diesen Ideen entgegen – wenn auch nicht weit genug, den kreativen Nachbesserungen von Jacobs' Hand zum Trotz: Dazu fehlt es ihr doch an Tiefe. Doch immer wieder ist es verblüffend zu hören, wie nah Paisiello an manche Wendungen der Da-Ponte-Opern gerät – oder: wie gut Mozart das Vorbild gekannt und eben in noch Besseres verwandelt hat.

Immerhin wird hier im Gegensatz zu Rossinis Version klar, was die junge Rosina mit der „Figaro“-Gräfin der Fortsetzung zu tun hat: Dort wie da malt eine Es-Dur-Cavatina mit duettierenden Klarinetten und Fagotten ihre Gefühlswelt, und lyrisch leidend erfreut Mari Eriksmoen noch mehr als mit beherzt erklommenen Spitzentönen. Witzig, wie sie in der überlangen Einleitung zu ihrer Singstunden-Arie zweimal zu früh einsetzt, wie Bartolo vom Schlaf übermannt wird – und wie Rosinas Kadenz zum erotischen Duett mit dem Musiklehrer „Don Alonso“ gerät: In seinen Verkleidungen schneidet Topi Lehtipuu als Almaviva noch am besten ab, ansonsten wird allzu deutlich, dass sein Tenor mittlerweile meckernd und verblüht klingt. Zuletzt freundlicher Jubel für alle angesichts dieser verdienstvollen Eröffnung einer Beaumarchais-Trilogie im Theater an der Wien: Die Fortsetzung folgt im April mit Mozarts „Nozze di Figaro“ unter Marc Minkowski; einen Monat später kommt dann „La mère coupable“ heraus, der kaum bekannte dritte Teil der „Figaro“-Story, komponiert 1966 von Darius Milhaud und inszeniert von Herbert Föttinger.

18., 20., 23., 25., 27.2., 19 Uhr. www.theater-wien.at

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.02.2015)

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