Volksoper: Traum und Katzenjammer in Paris

(c) VOLKSOPER WIEN/BARBARA PALFFY
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Offenbachs "Pariser Leben" jongliert dank Regisseur Michiel Dijkema augenzwinkernd mit Klischees, was sogar mehr Tiefgang bringt. Gesungen wird dafür inhomogen.

Ceci n'est pas une operette“, schimmert blass auf jener Plakatwand, die später Werbung für ein „spectacle spectaculaire“ und eine „tour touristique“ zeigt. Die Anspielung auf René Magrittes Gemälde „Trahison des images“ fügt sich hintersinnig in die mit Chor, Ballett und Statisterie virtuos überbordende Neuinszenierung von „Pariser Leben“ ein, mit der die Volksoper, so will es scheinen, rein äußerlich kaum Kosten und Mühen gescheut hat.

Man kann ja tatsächlich finden, es sei gar keine Operette, was Jacques Offenbach da 1866 für ein Ensemble aus fast nur singenden Schauspielern geschrieben hat – zumindest keine der sentimentalen Erinnerung wie ihre Wiener Cousine in reiferen Jahren. Eher ein böses Spiel mit Fassaden, Masken und Klischees sowie im Nu wechselnden Amouretteln und Gspassetteln. Angesichts der verworrenen Handlungsfäden rechneten die Librettisten gar mit einem vorzeitigen Abbruch der Uraufführung. Weit gefehlt: „La vie parisienne“ traf im Gegenteil einen Nerv beim Publikum, das seine auf der Bühne überhöhte Vergnügungslust bejubeln und sich daran berauschen konnte. Von diesem Image zehrt die Stadt noch heute.

Magrittes zitierter „Verrat der Bilder“ trifft in Michiel Dijkemas Inszenierung doppelt zu. Mit der vorgeführten, von der Gegenwart inspirierten multikulturellen Buntheit (Kostüme: Claudia Damm) wird die Realität auf reizvolle Weise zugleich übertüncht und enthüllt: Ethnische, soziale und kulturelle Vielfalt kennt hier keine Konflikte, durchwegs gut gelaunte Souvenirverkäufer, Geschäftsleute, Prostituierte, Schickeria, Obdachlose und High Society teilen sich die Trottoirs geschwisterlich, werden vom gewieften Regisseur aber doch bewusst ins Bild gerückt. Das spiegelt auch Dijkemas Bühnenbild wider, eine Art halbrundes Potemkinsches Dorf, das sich rotierend wandelt.

Durch dieses abgedrehte Labyrinth stolpert er, der schwedische Baron von Gondermark, der Paris mit allem Drum und Dran genießen will: Dazu hat er sogar ein Empfehlungsschreiben in der Tasche, das ihm die Gunst der Lebedame Metella verschaffen soll. Seine Frau will er währenddessen einfach in die Oper schicken – doch Gardefeu, einer von Metellas enttäuschten Verehrern, verschaut sich gleich bei ihrer Ankunft in die Baronin. Um an sie heranzukommen, gibt er sich als Fremdenführer aus, funktioniert seine Wohnung zum Hotel um und engagiert Nachbarn als Gäste...

Deutsche Fassung mit mehr Handlung

Der Anschein der gutbürgerlichen Moral wird nicht schon mit drei, sondern erst mit fünf Akten wiederhergestellt: Den oft gestrichenen vierten Akt baut die an der Volksoper gegebene deutsche Fassung sogar aus, indem sie verschiedene Versionen Offenbachs vereint und die Handlung erweitert. Hier lässt sich die Baronin sogar auf eine Liebesnacht mit Gardefeu ein, wird jedoch von ihm schwer enttäuscht, da er kurz darauf in die Arme von Metella zurückfindet. Diese hat den Baron abgewiesen und beginnt stattdessen mit Gardefeu ein neues Leben. Das ermöglicht dem Regisseur, den ausgeflippten Schluss mit nachdenklichem Kontrapunkt zu versehen: Baron und Baronin, verletzt und ernüchtert, merken, dass sie es doch nicht so schlecht miteinander erwischt haben, während die feiernde Gesellschaft hinter ihr im Abgrund versinkt.

So weit, so gut. Allerdings ist das Stück ungefähr so dicht bevölkert wie die Banlieues– und die aktuelle Besetzung genau so inhomogen, vor allem gesanglich. Sollte sich die Buntheit der Figuren etwa auch in diversen Vokalstilen mitteilen? Zu hören war vor allem das Auseinanderdriften der Protagonisten aus Oper, Operette, Musical und Schauspiel – mit daraus folgenden kleinen Längen. Ein Kurt Schreibmayer weiß freilich, trotz reduzierter stimmlicher Mittel, den etwas steifen, aber ambitionierten Möchtegern-Bonvivant Gondermark mit beachtlichen Energiereserven zu verkörpern. Landet er mit seinen Saufkumpanen zwischen Mülltonnen, trällern sie auf gut Wienerisch von ihrem „mordsdrum Affen“, eine wiederentdeckte Nummer des Stücks: Das hat bei ihm ebenso Format wie der wortlose gemeinsame Katzenjammer mit der Gattin Tiefe.

Schade aber, dass Caroline Meltzer als aufgewertete Baronin wenig attraktiv klingt. Nett, doch gesanglich gleichfalls etwas mühevoll Daniel Prohaska (Gardefeu) neben der eher schwerfällig tönenden Annely Peebo (Metella) und der in der Höhe schrillen Elisabeth Schwarz (Gabrielle) sowie dem musical-grellen Boris Pfeifer (Brasilianer). Da stechen Johanna Arrouas als couragierte Pauline und Helga Papouschek als vornehm-komisches „Golden Girl“ Quimper-Karadec angenehm hervor. „Paris bei Nacht ist eine Chimäre“, heißt es gegen Ende, und Chimäre bleibt auch ein gemeinsamer Ton für Offenbach, den zwischen Graben und Bühne manchmal wackelnden, doch an sich recht schwungvoll-gediegenen Bemühungen von Sébastian Rouland am Pult zum Trotz. Aber uns unterhalt's.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.02.2015)

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