Landestheater Linz: Hiob hat keine Botschaft mehr

(C) Landestheater Linz/ Christian Brachwitz
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Regisseur Peter Wittenberg gelingt eine prägnante Inszenierung von Joseph Roths Erfolgsroman. Das Ensemble überzeugt mit leicht überhöhtem Realismus.

Mendel Singer, seine Frau Deborah und drei ihrer vier Kinder stehen in Gummistiefeln auf der Bühne, nur der jüngste Sohn, der Epileptiker Menuchim, nicht. Er hängt in einem Korb, stöhnt, zieht Grimassen. Die Stiefel sind nötig, denn diese ostjüdische Familie am Westrand Russlands, deren Schicksal in Joseph Roths „Hiob“ (1930) einige Jahre vor dem Ersten Weltkrieg einsetzt, lebt in den Kammerspielen des Landestheaters Linz tatsächlich in einer großen Pfütze. Ihr Haus in einem Dorf in Wolhynien: ein Verschlag aus Pappe, Sessel, ein Kübel. Florian Parbs setzt wirkungsvoll Akzente: Hier ist ein Ort, den man Anfang des 20.Jahrhunderts am besten flieht. Die USA aber, in denen sich ein Teil der Familie schließlich wiederfindet, bestehen aus falschem Glanz: Die Großstadt, in der die zweite Stunde der Inszenierung von Peter Wittenberg spielt, besteht aus sehr vielen Reihen blendender Neonstäbe – an die 200 Leuchten. Sonst aber herrscht fast auch nur Leere. So schlüssig wie die Bühne ist die schnörkellose Regie. Wittenberg, der sich der beliebten Bühnenfassung Koen Tachelets bedient, hat diese „chassidische Parabel“ klug umgesetzt, sparsam. Dem Ensemble gelingt es, wie sich bei der Premiere am Samstag zeigte, die Atmosphäre der Welt von gestern sinnlich zu vermitteln, mit leicht überhöhtem Realismus.

Der Kranke wird beinahe ertränkt

Roth erzählt von einem „einfachen Mann“, einem armen Lehrer der Thora. Mendel ist genügsam und fromm. Als ein Arzt anbietet, Menuchim (ausgezeichnet: Markus Pendzialek) zu behandeln, weigert sich der Vater, obwohl seine Frau in dazu drängt. Vasilij Sotke und Verena Koch geben ein prächtiges Ehepaar ab, fast ohne Illusion. Mendel will nicht, dass sein Jüngster unter Nichtjuden aufwächst. Er nimmt in Kauf, dass der arme Sohn von den eigenen Geschwistern brutal misshandelt wird, dass sie ihn Kot fressen lassen, ihn ertränken wollen. Mendel will demütig das Schicksal ertragen, doch die Welt um ihn explodiert. Die Tochter treibt es lustvoll mit Kosaken, der erste Sohn will zu den Soldaten, der zweite will sich der Stellung entziehen. Die Mutter zahlt den Fluchthelfer. Eine sinnvolle Investition: Bald sind das Ehepaar und die Tochter auf dem Weg zu diesem erfolgreichen Sohn in New York.

Tote, Verschollene und Verrückte

Es gibt ein Opfer: Menuchim muss zurückbleiben, weil Behinderte nicht in die USA emigrieren dürfen. Mendels Gewissen leidet. Und Amerika macht ihn nicht glücklich. Der zweite Sohn meldet sich freiwillig als Soldat für den Großen Krieg und fällt, der Älteste ist längst in Russland verschollen, die trauernde Gattin stirbt, die Tochter wird wahnsinnig. Dieser bescheidene Jude aus dem fiktiven Zuchnow scheint ein Schicksal zu haben wie der biblische Hiob, den Gott prüft, indem er ihn von hoch oben tief fallen lässt.

Beim unglücklichen Emigranten Mendel ist die Fallhöhe nicht so groß. Aber auch er zweifelt an Gott, will die Thora und die Gebetskleidung verbrennen, Tallit und Tefillin. Sotke überzeugt in allen Phasen des Abstiegs. Dieser Hiob hat seine Botschaft verloren, in der Profanität der Neuen Welt. Findet er den Glauben wieder? Gibt es Rettung? Heilung gar? Bei Roth heißt es schlicht: „Mendel schlief ein. Und er ruhte aus von der Schwere des Glücks und der Größe der Wunder.“

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.02.2015)

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