TAG: „Eine komische Theaterfamilie“

(c) Katharina Roßboth
  • Drucken

Das TAG bringt Sophokles’ Dramen neu auf die Bühne. Ein Besuch bei den Proben.

Es ist die dritte Probenwoche für das Stück „Kreon“ im Theater an der Gumpendorfer Straße. Die heutige Probe ist gerade vorbei, an der Kaffeemaschine tummeln sich die Schauspieler, in einer Ecke nehmen Regisseurin Dora Schneider und Schauspielerin Elisabeth Veit Platz. „Wir sind noch sehr am Figurenerfinden“, erzählt Veit von der Arbeit am Stück. „ Jetzt wird alles psychologisch aufgedeckt, von Szene zu Szene.“

„Kreon“ erzählt – ganz nach Tradition des Hauses – einen Klassiker neu. Autor Marc Pommerening hat Sophokles’ antike thebanische Trilogie adaptiert. Aus der Geschichte um Ödipus, der als junger Mann unwissentlich seinen Vater tötet und seine Mutter heiratet, sowie der Tragödie um seine Tochter Antigone, die ihren Bruder gegen den Befehl des Königs begraben will, ist ein moderner Polit- Thriller geworden: Der gestürzte König Ödipus ist ins Exil geflohen, die freien Wahlen in Theben scheitern blutig (beide Kandidaten wurden getötet) – und der unpolitische Militär Kreon kommt an die Macht.

Mechanismen der Macht. Es folgt ein Reigen aus Verrat, Intrigen und Machtkampf. „Der Autor demontiert den Mythos um Ödipus komplett. Da gibt es keine Götter, die Sphinx wurde bestochen, der Minotaurus ist ein Mensch, und mit Kreon hat er einen untragischen Helden in den Mittelpunkt gestellt“, sagt Schneider. „Er macht aus ihm einen heutigen, glatten, ungreifbaren, beinahe unscheinbaren Politiker.“ Die ideologischen Grenzen sind fließend, nicht politische Ideale stehen im Vordergrund, sondern kühl kalkulierte persönliche Interessen.

Der Beginn des Stücks erinnert an den Arabischen Frühling, um einen konkreten Konflikt soll es aber nicht gehen. „Es geht um die Mechanismen der Macht, das Hinterfragen von Handlungsmotiven und von politischem Engagement. Engagiere ich mich, damit sich die Situation verbessert, oder um mich selbst zu entfalten? Was bewirkt es, wenn ich einen Button an die Jacke hefte?“ Auf die Frage, ob sie denn selbst politisch engagiert seien, antworten die beiden einstimmig: „Wir machen Theater.“ Und Veit fügt hinzu: „Wir versuchen, die Leute für ein paar Stunden vom Fernseher wegzuziehen und ihnen eine Geschichte zu erzählen. Das ist auch schon politisch eigentlich.“

Die Niederösterreicherin, derzeit die einzige fixe Frau im TAG-Ensemble, spielt in „Kreon“ Ödipus’ Tochter Ismene, eine Aktivistin, die man mit den Mitgliedern der russischen Band „Pussy Riot“ vergleichen könne: „Sie ist ein Protest-Girly, das durch das Miterleben von Thebens Krise aufgerüttelt wird und denkt, sie muss jetzt für die Demokratie kämpfen.“ Die Verunsicherung und Orientierungslosigkeit, die im Stück aufgegriffen werden, kann Veit übrigens nachvollziehen. „Im entfernteren Bekanntenkreis kenne ich Leute, die waren einmal Kleinvieh bei der einen Partei und sind dann innerhalb von einem Jahr zu Kleinvieh von einer ganz anders orientierten Partei geworden.“ Im TAG ist Veit derzeit in jeder Produktion zu sehen: In „Der diskrete Charme der smarten Menschen“ spielt sie die trotzige, frisch getrennte Bulle, in „Faust-Theater“ gibt sie ein hornbebrilltes Kleinstadt-Gretchen. Auf die Bühne wollte sie schon als Kind. Mit vier oder fünf Jahren nahm ihre Mutter sie zum ersten Mal mit zum „Zigeunerbaron“ im Stadttheater Baden, Veit war begeistert. „Ich habe das Glück, dass ich eine ganz fantasievolle und anregende Kindheit hatte“, erzählt sie. Zum Spielen haben sie und ihre Mutter ganze Räume umgebaut, für ihr Lieblingsspiel „Drogerie“ musste ihr Vater von seinen Geschäftsreisen die kleinen Shampoo-Proben aus den Hotels mitbringen, die sie dann stundenlang im Kinderzimmer verkaufte. „In dem Beruf ist es natürlich ziemlich vorteilhaft, wenn man daraus schöpfen kann.“

Ihr Weg zum TAG führte sie unter anderem über die Oper Erfurt, wo sie bis vergangenen Sommer gastierte und etwa in „Anatevka“ spielte und sang – neben ihrer Tätigkeit in Wien. „ Jetzt bin ich aber ganz froh, dass das wieder vorbei ist“, sagt sie. „Ich musste immer hin- und herfliegen, da gab es Wochen, in denen ich keinen einzigen freien Tag hatte.“ Von der Arbeit im TAG schwärmt sie: „Das klingt total romantisch und kitschig, aber wir sind so eine komische Theaterfamilie. Weil wir auch unsere Schrullen respektieren und liebevoll belachen.“ Und sie erzählt vom verrückten kleinen Theaterkosmos, vom „seltsam abgespacten Astronautenklo“ hinter den Kulissen und davon, dass sich die Mitarbeiter auch am Wochenende zum Essen treffen.

Als Busch auf die Bühne. Für Regisseurin Schneider ist es die erste Produktion am TAG. Eine Initialzündung erfuhr die Tochter einer Schweizerin, die in Stuttgart aufwuchs, in einer Vorstellung der „Zauberflöte“ in St. Gallen. „Da durfte man ein Los ziehen, und man war Busch oder Gespenst. Ich habe leider nur den Busch gezogen und durfte mich dann hinter einem großen Ast auf der Bühne verstecken.“ Ihre Leidenschaft für die Regie zeichnete sich bald ab: „Ich kann mich erinnern, dass ich zu Ostern die Eier versteckt habe, zu Weihnachten war ich das Christkind, zum Nikolaus war ich der Nikolaus, mit Schlittenhund und einem großen Sack Nüsse. Ich hatte es immer in der Hand, wie diese Ereignisse ablaufen sollten.“

Seit 2000 lebt die freischaffende Regisseurin mit dem Faible für tragikomische Texte in Wien, seit dem Vorjahr hat sie auch eine Professur für Schauspiel am Konservatorium. Am TAG schätzt sie die Arbeitsatmosphäre, in der auch Irren erlaubt sei, denn dabei könne schließlich etwas Neues, Unerwartetes entstehen. „Regie ist ein wahnsinnig langweiliger Beruf, wenn man den Leuten sagt, was sie zu tun haben.“ Sie versuche, mit jeder Figur mitzuleben. Dass sie bei der Premiere nicht selbst auf die Bühne muss, darüber ist sie aber „gottfroh“.

Veit hingegen kennt kein Lampenfieber. „Ich bin da so rational und denke mir, es geht eh nicht mehr, als man geprobt hat.“ Ein Adrenalinrausch sei jede Vorstellung trotzdem. „Es ist schon geil, wenn, kurz bevor man auf die Bühne muss, das System hochfährt. Aber nervös im Sinne von Beklemmung – überhaupt nicht. Ich will da raus.“

Tipp

„Kreon“. Wer Menschenrechte sagt, der lügt. Von Marc Pommerening, frei nach Sophokles. Premiere am 14. 3. im TAG, www.dastag.at

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.