"Woyzeck" als Porno und Passionsspiel

SCHAUSPIELHAUS GRAZ: 'WOYZECK'
SCHAUSPIELHAUS GRAZ: 'WOYZECK'SCHAUSPIELHAUS GRAZ/LUPI SPUMA
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Oliver Frljić inszenierte Büchner im Grazer Schauspielhaus: ein allzu sehr geschüttelter und gerührter Klassiker, trotz des fulminanten Franz Solar.

Ostern naht, das Grazer Schauspielhaus zeigt ein Passionsspiel, modisch vermengt mit einem Porno. Das Stammpublikum schüttelte den Kopf, auf der Galerie wurde laut gejubelt, vielleicht von Angehörigen der Schauspieler? Pech bloß, das Ganze ist Georg Büchners „Woyzeck“ – und der Dichter hat weder ein Passionsspiel noch einen Porno geschrieben. Die Regisseure aus dem Osten sind wieder da, sie sind näher an manchen Konflikten alter und neuer Werke, an gesellschaftlichen Zerreißproben, unbewältigter Vergangenheit, unterdrückter Wut als der vordergründig saturierte Westen.


Spiegelfechtereien. Der Ungar Róbert Alföldi zeigt im Volkstheater „Haben“ von Julius Hay, wuchtig und grausam, der Überwachungsstaat in den 1930er-Jahren. Aus Bosnien stammt Oliver Frljić, der in Graz Donnerstagabend den „Woyzeck“ herausbrachte. Frljić leitet das Kroatische Nationaltheater in Rijeka. Seine Versuche, sich auf der Bühne mit den Ereignissen des Jugoslawien-Krieges zu befassen, stoßen auf heftigen Widerstand bei der Presse, bei Kriegsveteranen und in religiösen Kreisen.

Igor Pauška baute einen imposanten Spiegel ins Schauspielhaus, man sieht den bei der Premiere teilweise schütter besetzten Zuschauerraum. Im Programmheft erklärt Frljić, mit diesem Spiegel wolle er „dem Publikum den Kopf zerbrechen“. Auch spricht er Kluges über die Disziplinar- und die Kontrollgesellschaft, hat Gilles Deleuze, Michel Foucault gelesen.

Vielleicht hätte Frljić ein eigenes Stück schreiben sollen. Er ist auch Autor, zwei seiner Arbeiten heißen „I Hate the Truth“ und „Damned Be the Traitor of his Homeland“. Am „Woyzeck“ hat sich Frljić eher vergriffen. Zu Beginn und am Ende der Aufführung hängt Woyzeck am Galgen. Gerti Pall liest Passagen aus der Apokalypse des Johannes. Der ohnehin kurze Text des Büchner-Fragments wurde klein gehackt und willkürlich zu- und aufgeteilt. Außer Woyzeck (großartig: Franz Solar) gibt es keine klaren Rollen. Männer und Frauen ziehen zu Beginn Frauenkleider an, später weiße Kutten und Tiermasken.


Über Menschen-Tiere. Als Pferd und Schaf, als Hase und Schwein setzen sie Woyzeck zu. Er wird zu einem Blowjob gezwungen, mit Banane und Karotte, man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. Dazu erklingt Kirchenmusik. Woyzeck vergeht sich an der toten Marie. Auch das Bild der Pietà wird bemüht. Büchner (1813–1837) war Naturwissenschaftler und Revolutionär: „Friede den Hütten, Krieg den Palästen“ ist ein Zitat von ihm, er zeigte den geschundenen Menschen, tyrannisiert und zerstört von einer zynischen und brutalen Obrigkeit in Gestalt des Doktors, des Hauptmanns, auch des Tambourmajors.

Büchner schuf saftige, wie gemalte Szenen aus Dorf und Kleinstadt. Seine Wirkung bezieht das Drama auch aus dem raschen Wechsel von Vitalität und Depression, Visionen, Kopf-Gespenstern, und einer gespenstischen Realität. Großartig war zuletzt die Volkstheater-Aufführung in Wien mit Haymon Maria Buttinger. Der Grazer „Woyzeck“ reiht dagegen schlechte Klischees aus dem Regietheater aneinander.

Nichts gegen „Woyzeck“, einen wohl richtigen Klassiker in Zeiten, da rundum Krieg wächst. Aber wieso so oft? Büchners „Leonce und Lena“ würde sich empfehlen, die hinreißende Staats-Satire aus dem Reiche Popo hat auch viel mit dem Hier und Jetzt zu tun.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.03.2015)

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