„Macht der Finsternis“: Fabelhafte Aufführung, entbehrliches Stück

FOTOPROBE: ´DIE MACHT DER FINSTERNIS´ IM AKADEMIETHEATER
FOTOPROBE: ´DIE MACHT DER FINSTERNIS´ IM AKADEMIETHEATER(c) APA/HANS KLAUS TECHT (HANS KLAUS TECHT)
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Tolstois „Macht der Finsternis“ erweist sich als hohle, krasse Predigt. Das Ensemble in der Regie von Antú Romero Nunes beeindruckt mit pulsierendem Temperament.

Klar, die Banken sind schuld. Sie leihen den Bauern Geld, das diese nicht zurückzahlen können – und die Bauern werden ruiniert. Dass es auch die Politik des 19.Jahrhunderts war, der Zar und eine bornierte Oberschicht, die in Russland jede Modernisierung verhinderten, Landreformen scheitern ließen, Rebellionen erstickten, bis die große Revolution kam, bleibt unerwähnt.

Die Bekehr-, Umkehr- und Einkehr-Versuche des Grafen Tolstoi, der inmitten heraufdämmernder Katastrophen als „Guter“ gilt, werden gern gepriesen. In seinem Stück „Die Macht der Finsternis“ rührt der Dichter freilich eine krause Mischung aus verderblichen Frauenzimmern und verkommenen einfachen Leuten an – und stellt sich selbst, mit spitzen Fingern auf sie zeigend, zur Predigt auf die Kanzel: Seht her, die Bauern, welch ein Gesindel! Die Burg setzt die Premiere des Stückes am Gründonnerstag im Akademietheater an – ein sinnloser Katharsis-Versuch. Zur Verwendung kommt lediglich ein uralter Theatertrick: Die Bürger schauen beeindruckt und entsetzt auf das lose Treiben einer ordinären Unterschicht.

Turnen auf einem Säckeberg

Eine raffiniertere Komposition als „Die Macht der Finsternis“ zeigte Frank Castorf bei den Wiener Festwochen: Er kombinierte Tschechows „Drei Schwestern“ und dessen Erzählung „Bauern“, und ließ neben dem müßig-empfindlichen Getue in den Herrenhäusern das Elend der Leute sichtbar werden. Tolstoi wirkt dagegen etwas schlicht.

Der in Deutschland geborene Regisseur Antú Romero Nunes – mit portugiesisch-chilenischen Wurzeln – verwandelte zuletzt Isabel Allendes „Geisterhaus“, ebenfalls im Akademietheater, in exquisite, aber etwas künstlich-sterile Bilder. Bei Tolstoi bekommt Romero Nunes nun erneut Gelegenheit, die schlimmen Folgen von Feudalismus, autokratisch-patriarchalischen Strukturen und der Rückständigkeit des Landlebens auszumalen. Er agiert mit deutlich mehr Fortüne als beim „Geisterhaus“, indem er für überschäumende Lebendigkeit sorgt.

Ein gewaltiger Berg grauer Säcke (Agrarwirtschaft!) füllt die Bühne: Der alte Bauer Petr ist krank, seine Frau Anisja liebt den Knecht Nikita und hilft nach beim Tod ihres Mannes. Mit Arsen, das ihr Nikitas Mutter überreicht. Die Anlage des Tolstoi-Stückes ist ähnlich wie bei „Haben“ von Julius Hay im Volkstheater, doch die Inszenierung ungleich weniger erdig. Das Staatstheater wuchert stattdessen mit aufwendiger Verwandlung seiner Schauspieler, und diese vollziehen sie in atemberaubender Weise: Fabian Krüger und Aenne Schwarz, der hübsche Faun und die Elfe, erscheinen hier als Knecht und Bauersgattin, beide ausladend feist aufgeplustert. Ebenso Mavie Hörbiger, die sich die behinderte Akulina in exakter Weise anverwandelt hat. Dass Krüger eine solche Rolle überhaupt spielen kann, hätte man ihm nie zugetraut. Dass er sie so spielen kann, ist unglaublich: Als grindig-zotteliger Macho, der sich nach dem Ableben des alten Bauern dem Saufen, Prassen und Vergewaltigen widmet – und am Schluss in einer berührenden Suada seine sowie die Verlassenheit und Gottferne der Welt beklagt, schafft Krüger seine bisher tollste Rolle am Burgtheater.

Aber auch die flehende, kreischende, zynische Anisja der Aenne Schwarz ist markerschütternd. Zwischendurch hat Romero Nunes eine Anleihe bei den Klageweibern des Südens genommen, eine Spur zu viel, wenn auf einmal alle um die Wette brüllen. Krüger, Schwarz, Mavie Hörbiger wirken wie Avatare ihrer selbst. Aber auch die Schauspieler, die bei sich bleiben durften, sind grandios: Johannes Krisch als alter, reicher Bauer, steht nach seiner Ermordung wieder auf – als bleicher, kantiger Knecht und ehemaliger Soldat, der mit dem Alkohol kämpft.

Russische Folklore, schöne Musik

Kirsten Dene brächte Agatha Christie und Patricia Highsmith zum Erbleichen, wenn diese noch am Leben wären: die Dene als listige, skrupellose alte Matrjona, allein die Modulationen ihrer berühmten Stimme wären ein Hörspiel für sich. Ignaz Kirchner spielt nach langer Zeit einmal nicht den dämonischen und gefährlichen Alten, sondern ein Alter Ego Tolstois, den frömmelnden Akim, Nikitas Vater: Dieser Herr mit bizarrer Frisur erntet Lacher, weil er immer „Dings“ sagt, wenn ihm das richtige Wort nicht einfällt, doch stimmt sein sturer Widerstand gegen den sittenlosen Sohn nachdenklich: Lieber in der Gosse schlafen, als von diesem Nachwuchs Geld annehmen. Auch kleine Rollen sind markant gestaltet (Frida-Lovisa Hamann als Waise Marina und Paloma Siblik als sehr junge Tochter im Haus, Anjutka)

Rund um die Hauptakteure baut Romero Nunes prächtige Folklore mit Hochzeit, Musik und Volksfest. Wir erfahren: Die echten Russen sind genauso, wie wir sie uns vorgestellt haben, unberechenbar, depressiv und zu Exzessen neigend, wenn sie betrunken sind. Womöglich sind sie heute noch so. Wie beruhigend. Dass sich – wie wir überall auf der Welt sehen – rasch ein strebsamer Mittelstand bildet, sobald die Repression aufgehoben oder gemildert wird, würde nicht zum Fatalismus der „Macht der Finsternis“ passen. Manchmal sähe man die üppig strömende Energie des Burg-Ensembles statt bei altbackenen sogenannten Klassikern bei einem neuen Text von Peter Handke oder Roland Schimmelpfennig, ja, genau in dieser großen Bandbreite, besser aufgehoben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.04.2015)

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