Iris Laufenberg: Theater, die aufregende Oase

(c) Fotos: Grazer Schauspielhaus/Lupi Spuma
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Iris Laufenberg, neue Intendantin des Grazer Schauspielhauses, über die Lust am Spielen und den ihr unsympathischen „Genossen Trend“.

Es begann in der Kindheit mit dem Kölnischen Komiker-Duo Tünnes und Schäl, „zwei legendären Puppen-Figuren wie Dick und Doof“ – und dann ist gleich Schillers „Jungfrau von Orleans“ gekommen, oder war es ein anderer Klassiker, der sie früh mit dem Theater-Bazillus infiziert hat, überlegt Iris Laufenberg. Ab Herbst 2015 wird die 49-jährige Kölnerin die Nachfolgerin von Anna Badora, die ans Wiener Volkstheater wechselt, am Grazer Schauspielhaus. Ihr fünf Jahre älterer Bruder hat Laufenberg in die Oper gelockt, mit 14 ist bei ihr „so ein richtiger Theater-Hype losgebrochen, da habe ich Freunde verloren, die in dieser Lebensphase andere Interessen entwickelt haben“. Auch sie mochte Popmusik, „nichts Wildes, Beatles und Abba“. Zehn Jahre leitete Laufenberg das Berliner Theatertreffen, bevor sie 2012 Schauspieldirektorin am Berner Konzert-Theater wurde, einem Viersparten-Haus. „Die Berner gelten als emotional reserviert, aber wenn ein gewisses Vertrauen aufgebaut ist, lassen sie sich begeistern.“ Was verbindet, was trennt Bern und Graz? „Beide sind sehr schöne Weltkulturerbe-Städte. Die Schweiz war mir zunächst vertrauter als diese Ecke von Europa, aber das finde ich genau das Tolle. Die Schweiz hat übrigens seit zwei Jahren ein eigenes Theatertreffen, da werden Aufführungen aus dem französischen und dem italienischen Teil der Schweiz nach Entscheid einer Jury eingeladen. Ende Mai eröffnen wir, also das Konzert-Theater Bern, dieses Theatertreffen in Winterthur, mit der Schweizer Erstaufführung von ,Seymour‘ von Anne Lepper. Das Stück spielt in einem Zauberberg-Ambiente, wo dicke Kinder im Internat sind, um abzunehmen, aber in Wahrheit wollen ihre Eltern sie abschieben und vergessen. Das Drama fängt lustig an, aber es wird dann recht düster.“

„Faust“ lief besser als „Torquato Tasso“. Verdrängen zeitgenössische Stücke nicht zunehmend die Klassiker? Laufenberg: „Vielleicht braucht es mehr Mut, den Schwerpunkt im Spielplan auf Zeitgenössisches zu setzen – Theatermacher sichern sich mit Klassikern schon auch ab, Titel und Autor sind bekannt, die Schulen nehmen die
Stücke durch.“ Allerdings erlebt man sehr Verschiedenes mit Klassikern: „Wir haben in Bern Schillers ,Maria Stuart‘ gespielt. Das war eine sprachliche Herausforderung
für Schüler. Die Aufführung ist aber gut gelaufen. Mit dem Berner ,Faust‘ haben wir einen Überraschungserfolg gelandet, obwohl mir prophezeit wurde: ,Das wird nicht gut ankommen.‘ Es war eine stark bearbeitete Version mit ,Faust I, II‘ und ,Urfaust‘ mit Video und einer Brass-Band. Dafür hatten wir zwei Spielzeiten zuvor mit ,Torquato Tasso‘ weniger Erfolg beim Publikum. Obwohl ,Tasso‘ in meinen Augen ein aktuelles Thema ist. Künstler wurden und werden oft funktionalisiert. Der Marktwert entscheidet, wer sich als Künstler durchsetzt. Aber das Stück ist eben auch sperrig und schwer, die Sprache, die Frauen-Figuren.“ Heute muss man sich als Künstler selbst inszenieren, oder? Laufenberg: „Ja, aber vermutlich ist und war der Künstler
nie ganz frei. Ich habe kürzlich im Kunsthistorischen Museum in Wien diese wunderbare Velázquez-Ausstellung gesehen; der Arme musste immer diese durch Inzest einander immer ähnlich hässlicher werdende Königsfamilie malen.“ Was gibt es für Trends im Theater? Wird es in der
nächsten Generation noch diese riesige, dichte Struktur der Schauspielhäuser und Opern im deutschsprachigen Raum geben? „Das weiß ich nicht. Aber Theater wird es immer geben. Theater ist eine aufregende Oase. Man sitzt da zwei Stunden drin und hat ein Live-Erlebnis, und das Wunderbare ist: Ich darf mich mal ganz auf eine Sache konzentrieren. Das Spielen, das Vorspielen ist eine unzerstörbare Faszination“, schwärmt Laufenberg.

Theater ist Krise. Der Sucht nach Trends kann sie wenig abgewinnen: „Vor einigen Jahren wurden Videos und Mikro fast wichtiger als die Schauspieler, dann wurden performative Regie-Ansätze gegen das
Autorentheater ausgespielt: Der Autor der Gegenwart ist tot, es lebe die Performance? Das ist natürlich Quatsch. Wie soll denn Theater ohne unsere Autoren der Gegenwart für eine Zukunft haben? Mir scheint, dass die heutige Generation souveräner mit den technischen Mitteln umgeht. Und sie in den Dienst der zu erzählenden Geschichten stellt.“ Uraufführungen werden selten nachgespielt, Autoren klagen über den Produktionsdruck. Laufenberg: „2009 habe ich das Symposion ,Schleudergang neue Dramatik‘ beim Berliner Theatertreffen gemacht, um den aufkeimenden Hype der Autorenförderung zu hinterfragen. Der Zenit des Autorenhypes war da aber wohl schon überschritten, denn plötzlich wurden wichtige Förderungsplattformen wie unter anderem die Werkstatttage am Burgtheater gestrichen, Preisgelder eingefroren et cetera. Natürlich müssen wir auch Uraufführungen machen, neue Formen mitausdenken, auch Kollektive im Bereich Theaterautor, Schriftsteller und Regisseur entwickeln. Und wir müssen Stücke nachspielen. Aber das tun wir auch!“ Das Burgtheater war jüngst in einer Krise, und in dieser ist es vielleicht noch. Laufenberg: „Heiner Müller sagte: ,Theater ist Krise.‘ Es wurden sicher Reformen versäumt, man muss sich fragen: Wie ist das Verhältnis von Apparat, Administration und Technik zur Kunst? Hier am Grazer Schauspielhaus gibt es schlanke Strukturen. Ich war immer geschäftsführende Theater- und Festivalleiterin – und somit verantwortlich für die Etats. Wichtig ist, beides gleichzeitig im Auge zu behalten, die Kunst und die Finanzen.“

„Gilmore Girls“. Nach Graz kommt Laufenberg mit ihren Töchtern, neun und 15 Jahre alt, und ihrem Mann, einem Architekten. „Die Töchter hätten glücklicherweise auch in Bern heuer die Schule wechseln müssen“, sagt sie, „die Schulen in der Schweiz waren tipptopp, und es herrscht dort weniger Unruhe und Druck als etwa in Berlin, wo auch die Klassen viel größer sind.“ Sie sei „keine Erzieherin oder gar Pädagogin, sondern meine Prinzipien gelten für mich, und die Kinder kriegen sie mit. Zum Beispiel bin ich schon eine Art Feministin, meine große Tochter kann damit weniger anfangen, sie ist von meiner feministischen Ader eher etwas genervt. So etwas wie ,Germany’s next Topmodel‘ kann ich mir halt nicht anschauen, ohne giftige Kommentare abzugeben.“ Gern und gemeinsam schaut die Familie „Gilmore Girls“, und man geht auch gemeinsam ins Theater. Es sei interessant, wie unterschiedlich die Jungen Geschichten, Aufführungen sehen: „Meine kleine Tochter war total begeistert von ,Cabaret‘, obwohl das für ihr Alter auf den ersten Blick weniger geeignet scheint als die wunderbaren ,Drei Räuber‘ von Tomi Ungerer.“ Bei der Frage nach anderen Beschäftigungen als dem Theater muss Laufenberg kurz nachdenken, Bücher, Reisen? „Als ich meinen Mann kennenlernte, musste er immer lachen, weil ich zwar alle möglichen Städte kannte, aber wenn er genauer nachfragte, stellte sich heraus, dass ich weniger die Städte selbst, als vielmehr ihre Stadt-Theater kannte. Das hat sich aber geändert.“ Also niemals ein Moment des Überdrusses, z. B. nach der x-ten-Vorstellung? Laufenberg lacht: „Nein, solange ich nicht immer in den Kanon der gleichen Stücke gehen muss.“

Tipp

Iris Laufenberg übernimmt im Herbst das Grazer Schauspielhaus von Anna Badora, die nächsten Premieren:
„Salome“ von Oscar Wilde (in der Regie von MIchael Simon, der Einar Schleefs Idee eines Religionskriegs in diesem Stück weiterentwickelt, Premiere 23. 4.), „Vieux Carré“ von Tennessee Williams (Premiere: 26. 4. Probebühne, Regie: Sebastian Schug) www.schauspielhaus-graz.com

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