Kira Kirsch: Wem gehört die Stadt?

(c) Katharina Roßboth
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„Mir gefällt es immer dort am besten, wo ich gerade bin!“, sagt Kira Kirsch. Sie übernimmt im Herbst das Wiener Brut-Theater, das künftig stärker in den Bezirken präsent sein soll.

Zuerst gab es eine kalte Dusche. Statt zwei Millionen Euro werde die innovative Off-Plattform Brut künftig nur mehr 1,8 Millionen Euro zur Verfügung haben, der Bund zahle vorerst nicht mehr mit, berichtet Kira Kirsch. Die gebürtige Saarbrückerin, Jahrgang 1972, übernimmt im kommenden Herbst das Brut, das künftig nur noch im Künstlerhaus spielen wird und nicht mehr wie bisher auch im Konzerthaustheater. Dafür will Kirsch mit Performances und Aktionen mehr hinausgehen in die Bezirke: Wem gehört die Stadt? Wo sind Leerräume? Brennpunkte? Wer eignet sich Orte an? Wer ist im Stadtraum wie sichtbar? Das sind Themen, um die sich das künftige
Programm im Stadtraum drehen soll.

Mainz, Paris, Glasgow. Der jungen Generation wird gern nachgesagt, dass sie unpolitisch sei. Kirsch: „Es gibt nicht die eine politische Kunst, sondern sehr unterschiedliche künstlerische Strategien, weil die politischen Lagen völlig unterschiedlich sind. Moskau hat zum Beispiel das Kellertheater doc, das sich bewusst klein hält, sich selbst finanziert und damit unabhängig bleibt. Diese Situation ermöglichte es doc bisher, regierungs- und gesellschafts-
kritisches Theater zu machen. Seit Oktober 2014 muss doc jedoch um sein Bestehen bangen, es wird von den Behörden mit Kündigung seiner Spielstätte bedroht. In den USA wiederum gibt es zum Beispiel die Yes Men, die bewusst mit Medienöffentlichkeiten arbeiten und es 2008 geschafft haben, eine ganze Ausgabe der ,New York Times‘ zu fälschen und eine eigene Ausgabe zu machen, in der sie das Bild einer besseren Welt entwerfen: So wurde zum Beispiel verkündet, dass der Irak-Krieg beendet und George W. Bush wegen Hochverrats angeklagt sei. Die Yes Men haben so einen völlig anderen und breiteren Zugang zur Öffentlichkeit gefunden als doc.“

Das Brut werde sich künftig vermehrt politischen Fragen stellen und auf aktuelle politische Diskussionen in Wien reagieren, in performativen sowie auch in Diskurs-formaten, erläutert Kirsch. Sie selbst ist schon viel herumgekommen: In Mainz und Berlin hat sie studiert, Theaterwissenschaften, Deutsch, Englisch, Französisch, der Vater ist Französisch-Lehrer. Ein Jahr war sie in Glasgow und als Au-pair-Mädchen in Paris. Beim Theater der Welt in Dresden hat sie gejobbt, bei der Berufsvereinigung bildender Künstler gearbeitet, zuletzt war sie leitende Dramaturgin beim Steirischen Herbst. Eine prägende Begegnung war für Kirsch jene mit Hannah Hurtzig, die 1996 das Theater der Welt in Dresden leitete und u. a. den „Schwarzmarkt für nützliches Wissen“ entwickelte, der dann auch in Graz und Wien zu erleben war: Besucher konnten im Rahmen einer „soziale Installation“ genannten Inszenierung mit Experten über deren Spezialgebiete sprechen bzw. sie befragen, z. B. Über Natur-, Sozialwissenschaft, Verkehrsplanung oder Medien. In Graz hat Kirsch zunächst beim Haus der Architektur zu arbeiten begonnen, was ihr wichtige Einblicke in die Rolle von Räumen und ihre Nutzung verschaff hat. Als Teil der Generation Praktikum fühlt sie sich wegen ihrer vielen Wechsel nicht: „Ich hatte schon meist ,richtige‘ Jobs. Aber sicher gehöre ich zu jener Generation, die nicht davon ausgeht, dass sie ihr ganzes Leben an einer bestimmten Arbeitsstelle verbringen wird. Ich war immer offen für verschiedene Formen des Arbeitens. Das Umziehen hat mir nichts ausgemacht, im Gegenteil. Mir gefällt es immer dort am besten, wo ich gerade bin.“

Reality-Theater. Das hat sie auch auf größeren Reisen bemerkt, nach Indien, Bali, Japan, Amerika oder Chile: „Da dachte ich oft: Hier muss ich unbedingt bleiben. Für einen bestimmten Zeitraum könnte ich an vielen Orten anknüpfen.“ Beim Steirischen Herbst gefiel ihr „die unheim-
liche Bandbreite“ von Veranstaltungen an völlig verschiedenen Orten, von der Helmut-List-Halle bis zu Hotels oder dem öffentlichen Raum. „Beim Steirischen Herbst konnte ich alles, was ich in anderen Bereichen gelernt habe, verbinden.“ Die Konkurrenz um die Dramaturgenstelle in Graz war groß: Über 100 Personen hatten sich beworben. Für das Brut interessierten sich nur 34 Bewerber. Besondere Freude bereitete Kirsch, dass der Steirische Herbst die originelle dänische Formation Signa, die 2011 auch in Salzburg beim Young Directors Project (YDP) mit „Das ehemalige Haus“ für Aufregung sorgte, nach Graz holen konnte. Signa baut realistische Szenarien, in denen Besucher hautnah etwas erleben können, z. B. in Salzburg beim YDP Prostitution oder in Graz einen Spitals-aufenthalt: Die „Komplex-Nord-Methode“ führte 2008 in ein altmodisches Krankenhaus, in das die Zuschauer „einchecken“ und ihre Erfahrungen machen konnten
mit Krankheit, Verletzlichkeit, Abhängigkeit und Machtstrukturen. „Zweite Welten“ war schließlich das Motto des Steirischen Herbst 2011, wo es in der Stadt ein Tourist Office des Künstlers Michikazu Matsune gab, „zu dem tatsächlich Touristen gekommen sind, die sich einen Stadtplan haben geben lassen, der sie zu alternativen Orten führte wie etwa zu Kunstobjekten in einer Tiefgarage“, erzählt Kirsch. Nützt die schlechte Wirtschaftslage der Kunst, oder schadet sie ihr? Kirsch: „Schwer zu sagen. Auf alle Fälle ist eine faire Kulturpolitik wichtig, die den Zugang zu Kunst nicht nur jenen ermöglicht, die es sich leisten können. Kunstinstitutionen sollten immer zugänglich sein, sich selbst überprüfen und sich an veränderte gesellschaftliche Bedingungen anpassen.“ Und man muss eben auch verzichten, z. B. auf ein Kellertheater wie die Konzerthausbühne, die zwar eine große Tradition, etwa Nachkriegskabarett (Qualtinger und Co.) hat, aber nicht so attraktiv ist wie Aktionen im öffentlichen Raum. Aber wie man die Wiener Theaterpolitik bzw. die Theatersituation kennt, wird sich wohl bald ein Theatermacher, eine Theatermacherin für die Konzerthaus-Bühne interessieren. Kirschs Vertrag läuft vorerst vier Jahre bis 2019 mit einer Option auf weitere vier Jahre. Derzeit sucht sie eine Wohnung – ab Sommer. Bei all ihrer Mobilität pflegt sie doch auch eine Sammelleidenschaft: Objekte der 1950er-Jahre, Nierentischchen, Cocktail-Sessel müssen an neue Orte immer mit.

Tipp

Das Brut, die Wiener Off-Plattform im Künstlerhaus- und im Konzerthaus-Theater, hatte zuletzt 35.000 Besucher. Die Intendanz von Thomas Frank endet mit einem Abschlussprogramm vom 6. bis 13. 5. mit Tanz, Theater, Konzerten, Partys und Lectures. www.brut-wien.at

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