Aktionstheater Ensemble: Pure, irre, bittersüße Angst

Gerhard Breitwieser
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In "Drei Sekunden" gleiten drei Darsteller durch das Land der Träume und Traumata. Ein erschreckend ehrlicher und doch verrückter Theaterabend.

Eine Frau steht auf der Bühne, eine Kermit-Puppe im Arm. Sie steigert sich hinein in ihren Monolog über Babys und Leute, die besser keine haben sollten – bis ihr der Geifer aus dem Mund tropft. Die andere Frau reibt einen starr nach vorne schauenden Mann währenddessen mit Torte ein und nascht Schokolade von seiner Stirn. Rundherum baumeln Leuchstoffröhren von der Decke, gehen immer wieder an und aus. Was das soll? So richtig Sinn ergibt „Drei Sekunden“, das preisgekrönte Stück des Aktionstheater Ensembles, das derzeit in Wien aufgeführt wird, nicht immer – aber tut das das Leben? Und, vor allem, tun das unsere Ängste?

Diese will die unkonventionelle Theatergruppe hier schonungslos offenbaren. In rasantem Tempo, mit Sprachwitz und überschwänglicher Körpersprache werden lose aneinandergereihte Anekdoten aus dem Leben der drei Charaktere erzählt, die gemeinsam so etwas wie eine verrückte kleine Familie bilden könnten: Die Junge, Quirlige, Kindliche (Kirstin Schwab mit genialer Mimik und immerwährendem Hüftschwung) liebt Motoren, schwärmt vom Fliegen und von Filmen über Flugzeugabstürze, bis es ihr selbst die Luft zuschnürt. Von den Ängsten der Geburt („und ich lieg' so am Tisch wie ein verendetes Kaninchen“) und der erschöpfenden Mutterschaft berichtet Susanne Brandt (maskulin im schwarzen Anzug) in ihrer Rolle. Und dazwischen steht Roman Blumenschein, der seinen eigenen Fähigkeiten nicht mehr trauen kann: Er berichtet von einer Autofahrt, er will nach rechts fahren, nur wie geht das, wo ist rechts, das ist die Hand, mit der man schreibt, mit welcher Hand schreibt man noch schnell? Es will ihm nicht einfallen.

Felix Dietlinger

Jenseits von Korrektheit und gutem Geschmack – „Dann haben wir den Hamster beerdigt. Hahaha!“ – gleiten die drei auf dem melancholischen Klangteppich von E-Gitarrist Florian Kmet durch das Land der Träume und Traumata. Am Weg wirft das Stück Tabus auf, die leichter auszusprechen scheinen, wenn sie zugleich ins Groteske gezogen werden: Darf man sein Kind hassen? „Ich habe mir oft überlegt, dass ich ihn frei gebe. Frei zur Adoption“, sagt Brandt über ihren aggressiven Sohn. Sie schaut schuldbewusst ins Publikum, dann steckt sie sich vier Finger in den Mund und schreit, laut und schrill, gegen den Zweifel und die eigene Unsicherheit und die Neurosen, die sich in ihre Vernunft fressen. Und die anderen beiden schreien gleich mit.

Was diese emotionale Berg- und Talfahrt am Grat zum Wahnsinn so packend macht: Die Geschichten mögen überzeichnet, verzerrt, ein wenig komödisiert sein, doch sie entspringen einem wahren Kern – in diesem Fall den kleinen oder großen menschlichen Ängsten, die uns alle plagen könnten. Das passt zur Herangehensweise, mit der Regisseur Martin Gruber seine Stücke spinnt: In Gesprächen lockt er aus seinen Schauspielern Anekdoten und Gedanken heraus, lässt sie diese an die Spitze treiben, steckt sie in die Haut eines anderen, um aus dieser Perspektive weiter zu erzählen. All das wird aufgenommen und abgetippt, den Text schickt Gruber dann an einen Autor, der die Fragmente verdichtet und zu einem Stück verwebt. Am Ende spielt jeder Mime eine Rolle, die mehr oder weniger aus ihm selbst besteht.

Und es entsteht ein Stück, das erschreckend ehrlich und lebensnah, gleichzeitig aber doch so verrückt ist. Aus Sorge wird Angst wird Panik wird Grauen – pures, irres, bittersüßes Grauen. Applaus.

Vorstellungen am 20., 21. und 22. April um 20 Uhr im Werk X Eldorado (Petersplatz 1, 1010 Wien).

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