Josefstadt: Franz Kafka als fragmentarische Figur

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Elmar Goerdens beachtliche Uraufführung zeigt den Dichter als vielschichtiges Wesen. "Kafka" wird aus weniger bekannten Schriften erschlossen. Vier Herren und eine Dame spielen ihn humorvoll, liebend, verzweifelt.

Als Franz Kafka am 3.Juni1924 in einem Sanatorium in Kierling an Tuberkulose starb, war nur ein kleinerer Teil seiner Werke in Druck erschienen. Die drei Romane sind Fragmente geblieben. Im Testament bat der Autor seinen Freund Max Brod, sämtliche noch nicht veröffentlichten Arbeiten zu verbrennen, auch die Tagebücher und Briefe. Brod hielt sich nicht daran und rettete Kafka für die Nachwelt. Später kam noch ein Konvolut dazu. Die Berlinerin Felice Bauer, mit der Kafka zwischen 1912 und 1917 vor allem postalisch verkehrte (ehe nach der zweiten Verlobung Schluss war), die 1936 mit ihrer Familie in die USA flüchtete, verkaufte die Briefe des fernen Geliebten an einen Verleger, sie erschienen 1967. Man kennt nur Kafkas Sicht auf diese Beziehung, Felices Briefe sind verschwunden.

Für Regisseur Elmar Goerden ist dieser einseitig erhaltene Briefwechsel das Kernstück eines Projekts, das den Dichter in neu zusammengefügten Fragmenten präsentiert–zweifelnd, aber stets mit abgründigem Humor (den einst auch Kafkas Freunde konstatiert hatten), fordernd und zugleich verkrampft rücksichtsvoll, liebend, jedoch meist äußerst verhalten. Die größere Leidenschaft blieb die Literatur. Ihr opferte er alles, die Arbeit, die Beziehungen mussten zurücktreten. Man darf sich diesen talentierten Kafka Franzl sehnsuchtsvoll einsam denken.

„Ich kann nicht mit Menschen leben“

Goerden macht aus ihm konsequent eine gespaltene Persönlichkeit. Er lässt ihn im Theater in der Josefstadt (die Premiere war am Samstag) von vier Männern und einer Frau spielen. Sie schälen aus Erzählungen, Tagebucheintragungen, Briefen eine komplexe Persönlichkeit heraus: Alexander Absenger ist vor allem der jugendlich liebende, Peter Kremer der ironische, André Pohl der skurril fordernde und Toni Slama der umständliche Kafka. Bis zur Hälfte des eineinhalb Stunden dauernden Abends vollführen die Herren vor allem Farcen. Dann kommt Maria Köstlinger dazu. Auch sie ist der Dichter und gibt ihm einen verzweifelten, manchmal hysterischen Zug. „Ich kann nicht mit Menschen leben“, sagt sie gegen Ende hin, allein auf der Bühne stehend. Sie wird von den anderen an einen Tisch gesetzt, mit dem Rücken zum Publikum. Das Bild erinnert an eine surreale Zeichnung des Dichters. Köstlinger beginnt zu schreiben, beschreibt die Körper der anderen, Wände. So viel Zwang. Ein schwungvolles Lied setzt an. America! Lateinamerika. „Felicidad“. Man darf sich Kafka nicht nur kafkaesk, sondern sehnend vorstellen.

Das Pathos im Finale sollte aber nicht täuschen – diese beachtliche Inszenierung ist raffiniert vielschichtig. Silvia Merlo und Ulf Stengl haben ein simples, aber aussagekräftiges Bühnenbild geschaffen. Wie ein Keil wurde Kafkas Zimmer abstrakt auf die Bühne gesetzt. Nur für eine Szene schwebt einmal vom Lusterboden ein altmodisches Büro herab, es könnte Kafkas Arbeitsplatz in der Versicherung sein. Sonst sind die hohen weißen Wände von ebenso hohen dunklen Eingängen und langen, quer liegenden Öffnungen durchsetzt. Solche Architektur gab es vor hundert Jahren tatsächlich in Prag, sie galt damals als Avantgarde der Moderne. In diesen schrägen Raum treten die vier Männer. Kerzen werden angezündet, der Jüngste hält die Hände in die Flamme, sein Geheul entwickelt sich zum Gesang, als ob er beim Reiben der Ränder verschieden hoch gefüllter Gläser Musik machte. Die vier stimmen einen Kanon an: „Froh zu sein...“

„Wunsch, Indianer zu werden“

Nein, dieser Kafka ist höchstens traurig-froh, bei all dem Spaß, den die Herren nun machen. Sie drängen sich in eine Dusche, kleiden sich umständlich um, kämpfen um ein schmales Bett, stellen sich in Rahmen (Kafka hat Felice eine Fotografie versprochen). Der Slapstick ist hübsch anzusehen, weil er hervorragend abgestimmt ist. Die Szenen verweisen auf Fragmente. Kämpft nicht auch K. in „Das Schloss“ mit seinen Gehilfen um den Platz im Bett? Der Jäger Gracchus taucht auf, Anklänge an den Türhüter vor dem Gesetz sind eingebaut. Und als die Mikroerzählung „Wunsch, Indianer zu werden“ vorgebracht wird, trägt Kremer fortan eine Feder am Hinterkopf. Da ist der Indianer aus Prag fast schon ins Nichts geritten, „der kaum das Land vor sich als glatt gemähte Heide sah, schon ohne Pferdehals und Pferdekopf“.

Auch sprachlich überzeugen die Darsteller. Am besten wirkt dieser Abend eben doch durch den Text. Goerdens Kunst: All die szenischen Einfälle lassen das Wesentliche davon erhalten. Stück für Stück wird das Phänomen Kafka auf originelle Art präsentiert, und zwar als Engführung, die sich auf einige Aspekte dieses kurzen Lebens konzentriert – auf Kafkas Beziehungsangst, auf den Komplex, nicht zu genügen, weder anderen Menschen noch der Literatur. Nicht der Prozess des Schreibens steht im Fokus, sondern alles, was davon ablenkt.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2015)

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