Menasse-Uraufführung: Faust verschluckt sich an der Welt

Robert Menasse.
Robert Menasse.(c) APA (Günter R. Artinger)
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„Doktor Hoechst. Ein Faust-Spiel“ am Staatstheater in Darmstadt, ist eine Wirtschaftstragödie, die durch ein Übermaß an Einfällen gefällt und irritiert: Dichter im Ideenrausch, perfektes Ensemble.

Im Lauf der Arbeit wurde mein Stück immer länger, immer chaotischer, zu einem undurchdringlichen Dschungel. Am Ende wollte ich nur noch mit der Machete durch und einen gangbaren Weg schlagen“, schreibt Robert Menasse über seine Arbeit. Ja, dieser „Faust“ schäumt über vor Ambitionen. Hier hat der Dichter etwas gelesen, was ihm in den Text gepasst hat. Da ist ihm was eingefallen, was nicht in den Text gepasst hat, aber trotzdem gut ist. Dort steht etwas herum, was vor sich hin plappert, wie ein Autor, der in der Badewanne eine Arie über die Katastrophen der Welt improvisiert. Der missionarische Eifer, das Anliegen schlägt wie gelegentlich bei Menasse die Kunst tot. Theater ist kein Roman, kein Essay, kein pointiertes Interview. Es ist Theater, sonst nichts.

Trotzdem ist dieses Faust-Spiel über einen Doktor Hoechst, der ein Firmenimperium anhäuft, die Welt beherrscht und am Schluss mit aufgeschnittenen Pulsadern in der Wanne endet (das stärkste Bild des Abends) außerordentlich spannend geraten. Es ist schade, dass sich das Burgtheater – die erste Menasse-Uraufführung wurde von Klaus Bachler abgesagt und fand dann wie die jetzige in Darmstadt statt – die Chance auf die Entdeckung eines „neuen“ österreichischen Dramatikers entgehen ließ.

Wissenschaftler statt Teufel

Firmen-Jongleur Doktor Hoechst, in japanischen Kraftwerken ebenso engagiert wie in Gentechnologie, entspannt sich beim Kochen. Nur sein Philosophie studierender Sohn, benannt nach dem Erzengel Raphael, nervt ihn. Frau Gräten kommt noch einmal für eine Nacht vorbei. Anders als Goethes Gretchen hat sie den Sohn allein aufgezogen. Dieser ertappt seine Eltern in flagranti, wie sie gerade ein neues Kind machen, seinen Doppelgänger. Raphael ist entsetzt.

Den Teufel gibt es nicht, ein Wissenschaftler verspricht Hoechst ewiges Leben durch Multiplikation seiner selbst. Das klingt gut, wird aber ein bisschen dauern. Derweil begibt sich Hoechst auf Geschäftsreise, die unheimlicherweise nicht zu neuen profitablen Abschlüssen führt, sondern in die Vergangenheit, nach Auschwitz, zu den Atombomben der Amerikaner auf Hiroshima/Nagasaki und in die chilenische Militärdiktatur. Da ist selbst der forsche Hoechst entsetzt. Doch das hindert ihn nicht, munter weiterzumachen. Sein Sohn will sich in die Schauspielerei flüchten, er findet dort sogar ein Gretchen ohne Gräten, doch die Liebe funktioniert nicht. Der Vater zwingt den philosophischen Buben, Wirtschaft zu studieren, und schleppt ihn zur Sitzung mit dem Kanzler, der in der Finanzkrise Berater braucht, die aber nicht wirklich helfen können.

Der Abgrund, in den alle hineingerissen werden, entfaltet seinen unwiderstehlichen Sog. Was hier erzählt wird, klingt flotter als es ist. In den rund drei Stunden im Kleinen Haus des Darmstädter Staatstheaters sah man Samstagabend einige einnicken. Am Schluss aber wurde nicht nur das Ensemble, sondern auch der Dichter herzlich gefeiert, es gab keine Buhrufe.

Intellektuelles Kunstwerk

Natürlich wandert Menasse, vielleicht ein Zufall, auf Elfriede Jelineks Spuren, deren „Kontrakte des Kaufmanns, eine Wirtschaftskomödie“ derzeit durch die deutschsprachigen Lande reist. Menasses „Doktor Hoechst“ ist kein Sprach-, sondern ein intellektuelles Kunstwerk. Regisseur Hermann Schein, der schon die Uraufführung von Menasses Erstling „Das Paradies der Ungeliebten“, das vom Burgtheater zurück gewiesen wurde, in Darmstadt inszeniert hat, geht anders als Nicolas Stemann bei Jelinek stilisierend, aber realistisch vor: Hoechsts Küche ist eine solche, ebenso das Labor, und der grausige Müll der Geschichte (Bühne und Kostüme: Stefan Heyne) häuft sich.

Das Ensemble hat geschwätzige wie packende Passagen perfekt einstudiert. Andreas Manz ist der geschmeidige und schneidende Doktor Hoechst im Business-Anzug, der selbst beim Hütchenspiel die Oberhand behält. Tilman Meyn als Sohn hat keine Chance gegen diesen nicht gewalttätigen, aber gnadenlos rechthaberischen Papa. Karin Klein ist eine herbe Gräten, die nicht mehr an die Liebe glaubt – und Hermi alias Hermione (Anne Hoffmann) folgt ihr auf dem Fuß in die Desillusionierung nach dem kurzen Liebestraum mit Raphael.

So haben Menasse und Darmstadt in der allgemeinen „Faust“-Euphorie oder -Inflation – wie man es nennen will – fast einen Paukenschlag gesetzt, an dem zumindest die nächsten moderneren „Faust“-Adaptionen zu messen sein werden. Vielleicht hat ja auch Wien irgendwann seine Menasse-Uraufführung. Das müsste schon sein.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.04.2009)

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