Meyerhoff: „Wenn das kein tyrannischer Schlächter ist!“

FOTOPROBE BURGTHEATER ´ANTIGONE´
FOTOPROBE BURGTHEATER ´ANTIGONE´(c) APA (ROLAND SCHLAGER)
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Joachim Meyerhoff spielt den König Kreon in Jette Steckels Inszenierung der „Antigone“ des Sophokles. Ein Gespräch über jugendliche Lust an der Anarchie, das Lob der Ordnung und die Frage, ob der Mann eine Therapie braucht.

Die Presse: Sie spielen im Burgtheater in „Antigone“ deren Widersacher Kreon. Was bedeutet Ihnen diese berühmte Tragödie?

Joachim Meyerhoff: Für mich ist sie tatsächlich eine Entdeckung. Ich kannte bisher eigentlich nur den Plot und war fasziniert vom Thema des Begraben- und Nicht-begraben-Werdens. Aber dass ich mich zuvor mit dem Stück richtig beschäftigt hätte, kann ich nicht behaupten. Zu antiken Stücken wie etwa dem „Ödipus“ hatte ich immer eher eine gewisse Distanz. Im Elternhaus spielten zum Beispiel amerikanische Romane eine wichtigere Rolle, auch die russischen, auch viel Dostowjewski und vor allem Tschechow. Die alten Griechen waren mir immer eine Nummer zu groß. Jetzt aber bin ich überwältigt von der monumentalen Fallhöhe, die dieser König Kreon durchmacht.


Auf den ersten Blick scheint völlig klar zu sein: Antigone ist die Gute, Kreon der Böse. Differenzieren Sie mal!

In der romantischen Rezeption kann man das vielleicht so sehen. Aber wenn man das Stück genau liest, hat Kreon doch vollkommen recht mit dem, was er macht. Seine Neffen Polyneikes und Eteokles haben sich gegenseitig erstochen. Dieses Emblem steht über dem Stück. Mit genau der gleichen Wucht knallen Kreon und Antigone zusammen. Zum dritten Mal ist Kreon inzwischen König von Theben. Dass er Eteokles, der die Stadt verteidigt hat, begraben will, Polyneikes, der sie angegriffen hat, nicht, ist doch ein sehr guter Anfang für einen Herrscher, der seinen Leuten sagt, er schütze alle, die für diese Stadt stehen. Die sich gegen die Stadt stellen, sind Feinde. Es ist nicht einfach für solch einen Mann, seine Nichte zu bestrafen, die seine Anweisung missachtet und dafür auch noch schwärmt. Sie bringt ihn durch diese anarchistische Tat in höchste Gefahr.

Ist das der Reiz der Freiheit für Antigone?

Mit 18 habe ich in der Kleinstadt, in der ich aufgewachsen bin, auch den Buchstaben A an die Wand gemalt und dabei gedacht, Anarchie sei doch etwas Tolles. Das war eine völlig unkritische Haltung, lächerliches Aufbegehren gegen die Sicherheit eines Ärztesöhnchens. Wenn man älter wird, erkennt man aber, dass Rechtsstaatlichkeit ein hohes Gut ist. Die vertritt Kreon. Er sagt, dass der Ungehorsam Antigones eine Gefahr für die Stadt sei. Dass die Konsequenzen, die Kreon in einer steigenden Skala der Gewalt daraus zieht, heute nur einem Schlächter zugeordnet werden können, hat etwas mit uns zu tun, weil wir die Brutalität und den Gewaltkatalog, die damals in Anspruch genommen wurden, nicht mehr akzeptieren.

Das Schattenreich der Griechen ist nicht sehr attraktiv. Würden Sie Antigone dennoch Todessehnsucht unterstellen?

Es ist im Text vom „Herzensgott Hades“ die Rede. Man muss bedenken, dass dies hier eine junge Frau ist, die eine irrationale Sehnsucht nach Größe, dem Unbekannten, dem Tod hat. Sie handelt aus einem Impuls der Kränkung heraus und begräbt ihren Bruder. Vollkommen verständlich! Sie setzt eine Tat, so wie Kreon eine mit dem Begräbnisverbot gesetzt hat. Da prallen zwei Taten aufeinander. Und dann sagt diese junge Frau dem Kreon, mehr, als sie zu töten, bleibe ihm nicht! Er: „Bleibt mir das, bleibt mir alles.“ Diese Situation gilt für jeden Märtyrer oder Selbstmordattentäter. Man erhält durch seine Bereitschaft, für seine Überzeugung zu sterben, Macht über alle Ordnungsorgane. Die werden so in Panik versetzt, sie drehen durch.

Ist Kreon resistent gegen Beratung?

In einem Punkt gibt er nach. Erst hat er auch Antigones Schwester Ismene zum Tod verurteilt, die ja nichts gemacht hat. Das ändert er dann ab. Ein Schachzug. Und ein weiterer besteht darin, dass er die Strafe der Steinigung aufhebt, Antigone lebendig einmauert, um so die Gefahr, sie zur Märtyrerin werden zu lassen, zu verhindern. Er hat Angst, dass das Volk entsetzt auf die Steinigung dieses Mädchens reagiert. Ab da hat man Mühe, dem Mann zu folgen. Wenn das kein tyrannischer Schlächter ist! Aber er verschafft sich doch eigentlich nur Zeit. Antigone kommt ihm zuvor, indem sie sich umbringt.

So viel Gewalt. Was bedeutet sie?

Damals war sie das Urmittel, um Ordnung zu schaffen. In Homers „Ilias“ ist grauenhaft beschrieben, wie man dem Körper Gewalt antun kann. All das aber bringt Strukturen, dient dem Machterhalt. Das ist abschreckend und fesselnd zu gleich. Gewalt ist nicht geächtet, sie ist vollkommen legitim. Die tollste Stelle für mich ist, wenn der blinde Seher Teiresias sagt, dass Vögel und Hunde den Leichnam, der draußen in der Wildnis verwest, durch ihren Kot in die Stadt hineintragen, da sie von ihm gefressen haben. So wird sie verseucht. Der Tod ist nicht zu begrenzen.

Gibt es für Kreon eine Therapie?

Sein Sohn Haymon und Teiresias betonen seine Starre, die ihn brechen werde. Da werden permanent sprachlich tödliche Bilder des Starrsinns geäußert, etwa: „Das überhitzte Eisen reißt am ehesten.“ Auf die menschliche Psyche übertragen, ist das wie eine Fixierung. Kreon gerät in die Fixierung seiner Unnachgiebigkeit. Als er alles verloren hat, Frau, Nichte, Sohn, ist er gescheitert. Er fragt den Chor, was er machen soll.

Was verdrängt Kreon?

Das Schauderhafte seiner Sippe. Er muss Theben schützen. Rundherum, außerhalb der Stadtmauern, ist alles Chaos, das permanent bereit ist, sich wieder Bahn zu brechen. In der Stadt droht Bestechung. Denn Schlimmeres hat der Mensch nicht erfunden als das Geld. Er trägt die Verantwortung und überhebt sich. Das hat doch heute auch jeder Zweite von uns: dass er sich für unersetzlich hält, dass er meint, eins zu sein mit einem Amt, einer Funktion. Kreon kommt von dieser Fixierung nicht mehr runter. Miserables Krisenmanagement würde man das heute nennen. Diese Eigendynamik kennen wir doch alle. Das ist die Tragödie. Wir verrennen uns auch oft wie Kreon. In meiner Generation an Vätern gibt es in Bezug auf die Kinder immer wieder Situationen, in denen man mit der eigenen Autorität hadert. Sie ist gefragt und nervt einen doch selbst so. Ich habe eine vierzehnjährige Tochter. Du atmest schon ein, um eine klare Ansage zu machen, und weißt in dem Augenblick bereits, sie wird zu nichts führen. Wie viel Strenge braucht es? Pubertierende wissen genau, was sticht. Das Irrationale ist ihre Form des Widerstandes.

Der Chor empfiehlt Besonnenheit.

Das ist das Gegenteil von Halsstarrigkeit. Am Ende ist Kreon gebrochen wie Hiob in der Bibel. Er sagt dann in der Übersetzung von Hölderlin: „Alles nämlich ist schief“ – eine fantastische Übersetzung von „gebrochen“. Kreon ist komplett aus dem Lot. Aber so stell ich mir das vor: Er macht weiter, das ist das Bittere. Das könnte eine harte Übertragung ins Heute sein – egal, wie klar man die eigenen Verfehlungen sieht, man bleibt starr. Erstarrt in der eigenen Unzulänglichkeit.

SOPHOKLES IM BURGTHEATER

Am 31. Mai hat die „Antigone“ des Sophokles im Burgtheater Premiere (19 Uhr). Regie führt Jette Steckel, Aenne Schwarz spielt die Titelrolle, Joachim Meyerhoff ihren Widerpart, Thebens König Kreon.Joachim Meyerhoff, 1967 in Homburg geboren, absolvierte die Otto-Falckenberg-Schule in München und kam 2005 ins Ensemble des Burgtheaters. Der mehrfach preisgekrönte Schauspieler ist auch als Regisseur und Schriftsteller erfolgreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.05.2015)

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