Reichenau: Rappelkopf wird ernst genommen

FESTSPIELE REICHENAU: FOTOPROBE ´DER ALPENK�NIG UND DER MENSCHENFEIND´
FESTSPIELE REICHENAU: FOTOPROBE ´DER ALPENK�NIG UND DER MENSCHENFEIND´(c) APA/ROBERT J�GER (ROBERT J�GER)
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August Schmölzer brilliert als Menschenfeind in Michael Gampes sehr traditioneller Raimund-Inszenierung. Diese wirkt arm an Humor, dennoch überzeugend.

Wer glaubt, dass sich in Reichenau fade Konservative versammeln, um einander zu versichern, dass im Theater noch immer alles so ist wie vor 100 Jahren, der irrt. Eher begeistern sich Habitués für das in dieser Hitzewelle besonders charmante Örtchen an der Rax (Bergsommer!), um ein Kontrastprogramm zum mitunter strapaziös-originellen Wiener Bühnenleben zu genießen. In Reichenau wird jeder nach seinem Geschmack bedient: Erotiker kommen beim „Weibsteufel“ auf ihre Kosten, Freunde dunkler Märchen und Magie bei Raimund, freie Berufe bei „Professor Bernhardi“ und Persönlichkeiten der Wirtschaft bei „Borkman“ (ab heute, Montag).

Michael Gampe hat heuer „Alpenkönig und Menschenfeind“ inszeniert. Herr von Rappelkopf, Gutsherr und Spekulant, hat ein ähnliches Problem wie Nestroys „Zerrissener“, den Gampe (mit Michael Dangl als Herr von Lips) in der Josefstadt herausbrachte. Lips ist des Opportunismus und der Liebedienerei seiner Umgebung so überdrüssig, dass er depressiv geworden ist. Auch Rappelkopf hat durch sein Geld die Menschen gründlich kennengelernt: Betrügereien, Lügen, besitzergreifende Frauen. Lips und Rappelkopf sind Menschenfeinde wie Nestroy und Raimund, die allerdings nicht Reichtum, sondern das intrigante Bühnenleben genervt hat.

August Schmölzer, der in Otto Schenks Direktionszeit an der Josefstadt engagiert war, und sich dann als TV-Star profilierte, wurde für seinen Ausflug auf die Bühne mit einer Paraderolle beschenkt. Der groß gewachsene und beleibte Schmölzer verzichtet als Rappelkopf auf Augenzwinkern und Koketterie mit dem Publikum. Sein Menschenfeind ist ein beinharter Biedermeier-Patron, dem man mühelos abnimmt, dass er Arbeiter und Hauspersonal bis aufs Blut schikaniert – und über fehlende Groschen in der Kasse ebenso in Wut gerät wie über zu heißes Gulasch. Wie manchem Unternehmer oder Manager von heute scheint diesem Autokraten die Flucht in den Wald als einziger Ausweg. Er will entspannen, sich selbst finden, er findet einen anderen – und anderes.

Die Unwägbarkeit der Natur, die in Gestalt des Alpenkönigs erscheint, empfindet Rappelkopf in seiner Keusche, aus der er die Köhler-Familie vertrieben hat, nur als lästig. Katharsis, wer? Es dauert lang und es gibt immer wieder Rückfälle bei der Therapie, die der Geisterkönig dem arroganten Feudalherrn verpasst, aber eine Psychoanalyse dauert ja auch viele Jahre, bis etwas weitergeht.

Der Papa wird's schon richten

Mit seiner Prophezeiung, dass Rappelkopf einem guten Weg mit der gleichen Sturheit folgen werde wie dem bösen, behält der Alpenkönig jedenfalls fürs Erste recht. Schmölzer ist temperamentvoll und großartig. Manchen Besuchern war er zu kalt. Aber dieser Menschenfeind ist nun einmal auch ein Macht- und Gewaltmensch aus der Zeit der wirtschaftlichen Umwälzungen des 18./19. Jahrhundert, als die Industrialisierung die Landwirtschaft als wichtigsten Sektor ablöste, als alles wackelte, aber trotzdem sehr viel Geld in die Kassen weniger strömte. Letztlich ist der rustikale Rappelkopf ein Vorläufer des Fabrikanten Hofreiter aus Schnitzlers „Weitem Land“. Im Schauspiel gibt es jetzt schon fast wie im Musiktheater sehr oft die gleichen Stücke, daher müssen Vergleiche gestattet sein: Der Burgtheater-„Alpenkönig“ war viel innovativer als jener in Reichenau. Dafür gelang der Reichenauer „Alpenkönig“ auf schöne Weise historisch stimmig. Raimunds Sehnsucht nach Pathos und großer Oper wird in wohl einstudierten Chören deutlich.

Das Ensemble ist von unterschiedlicher Qualität, aber es fügt sich in die Gesamtkomposition. Sascha Oskar Weis in fescher Jägermontur (Caterina Czepeks Kostüme sind toll!) wirkt als Astragalus jovial, als Rappelkopf-Alter-Ego ist er ein widerliches Ekel. Wie der Menschenfeind selbst ist der Alpenkönig ein „Chef“ mit zwei Gesichtern. Alina Fritsch gefällt als Rappelkopfs Tochter, Florian Graf als ihr Bräutigam, ein Maler; diese zwei ewigen Kinder wird Papa Rappelkopf durchfüttern müssen. Emese Fays Talent für feierlichen Ernst und still-glühende Warmherzigkeit passt zur leidgeprüften Gattin.

Johanna Arrouas als Kammermädchen Lischen und Nicolaus Hagg als Diener Habakuk sind im Leben ein Paar – und zänkisch auf der Bühne. Hagg wirkt witzig und ganz arm. Man leidet mit ihm, wenn er Magenschmerzen bekommt, sobald ihm verboten wird, sich an seine Jahre in Paris zu erinnern. Arrouas liegt die wilde Kratzbürste wenig – und ihre Opernstimme ist für ein Raimund-Couplet zu orgelnd. Der Humor des Dichters kommt bei dieser Aufführung zu kurz. Peter Loidolts Bühnenbild mischt Motive aus der Biedermeiermalerei mit Videoprojektion – und ist einmal mehr ein feiner Blickfang.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 06.07.2015)

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