Reichenau: Der vornehmste Bernhardi

FESTSPIELE REICHENAU: FOTOPROBE ´PROFESSOR BERNHARDI´
FESTSPIELE REICHENAU: FOTOPROBE ´PROFESSOR BERNHARDI´(c) APA/ROBERT J�GER (ROBERT J�GER)
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Hermann Beil inszeniert Schnitzlers Medizinersatire exakt und vom Blatt. Das Ensemble ist gut bis sehr gut. Und jetzt bitte eine Pause bei diesem oft gespielten Stück.

Die demokratischen Strukturen schwächeln, die saturierte Oberschicht wiegt sich in Sicherheit. In der Politik gewinnen Radikale an Boden, die Religion wird zur Waffe. Auch im noblen Privatspital Elisabethinum ist einiges nicht in Ordnung: Dass der Schädel eines Paralytikers verschwindet, scheint kurios. Dass die Herren Professoren es mit der Hygiene nicht so genau nehmen, wirkt schon beunruhigender.

Die Erste Wiener Medizinische Schule blühte unter Kaiserin Maria Theresia und ihrem Leibarzt Van Swieten auf. Die Zweite im 19. Jahrhundert schmückten große Geister wie Theodor Billroth, Carl von Rokitansky, Ignaz Philipp Semmelweis. Doch das Interesse galt teilweise mehr der Analyse von Toten als der Heilung Lebender, „Therapeutischer Nihilismus“ war weit verbreitet. Den Klinikalltag schilderte Arthur Schnitzler, Arzt und Sohn eines Arztes, illusionslos.

„Professor Bernhardi“ galt Sonntagabend die dritte Premiere im Neuen Raum der Festspiele Reichenau – sie wurde stark bejubelt, am meisten Beifall erhielt Joseph Lorenz, der wohl vornehmste Protagonist der letzten Zeit für diese gallige „Komödie“: Professor Bernhardi verweigert einem Priester den Kontakt mit einer Sterbenden. Die Letzte Ölung ließe das Opfer einer Sepsis nach einer illegalen Abtreibung ahnen, dass der Tod naht. Der Arzt, der ohne viel Nachdenken instinktiv entschied, wird in den Strudel der immer rabiater werdenden Politik gegen Ende der Donaumonarchie hineingerissen. Lorenz passt die Rolle wie angegossen. Er scheint nicht viel machen zu müssen – und erfreut doch durch allerlei Facetten. Bernhardi, der selbstbewusste Klinikchef, der an Widerspruch nicht mehr gewöhnt ist, wirft in Panik die Leitung hin. Wegen Religionsstörung kommt er zwei Monate in Haft. Er wirkt erschüttert, bleibt aber ungebeugt. Lorenz sieht gut aus – die Damen freuten sich, sogar auf Facebook – mit grauem Bart, er hält sich kerzengerade, wird selten laut und wenn er richtig sauer ist, reagiert er mit feiner Ironie.

Die Steifheit früherer Jahre hat Lorenz abgestreift, mit seiner Nonchalance und Grandezza reicht er schon fast an den jüngst verstorbenen Helmuth Lohner heran.

Zu brav: Peter Matić und André Pohl

Eine wienerische „Bernhardi“-Inszenierung war wohl für Reichenau intendiert, als Kontrast zur „deutschen“ Burg-Inszenierung von Dieter Giesing mit Joachim Meyerhoff, der den feinen Professor kräftig schärfte und ihn als ehrgeizigen Aufsteiger von gutem Charakter, aber mit einem Hang zum Eiferertum zeigte; auch Nicholas Ofczarek brillierte als mit allen Seifenwassern schlauer Karriere-Geilheit gewaschener Minister. Jedoch: „Bernhardi“ eignet sich nicht zum „Kulturkampf“. Dieses Stück kann man jederzeit spielen, sofern man gute Darsteller hat und sich auf das Einstudieren der nicht unkomplizierten Sprache versteht – mit ihren langen Wortduellen und an Amtsdeutsch erinnernden gewundenen Formulierungen. Wenn die Professoren vor der Pause kräftig aufeinanderkrachen und sich an ihrer Rhetorik berauschen, wird es echt episch und anstrengend, auch in Reichenau, wo Hermann Beil für eine Schnitzler-Aufführung exakt „vom Blatt“ sorgt. Die Schauspieler könnten teilweise besser sein.

Mit wenig Text maximale Wirkung erzielt der begabte David Jacob als Dr. Kurt Pflugfelder, Sohn des alten (heftig: Rainer Frieb). Die „Götter in Weiß“ versorgen – wie das auch heute öfter der Fall ist – ihre Kinder: René Peckl als Oskar Bernhardi möchte lieber tanzen und komponieren als kurieren.

Witzig: Peter Moucka als Professor Tugendvetter, freundlich, in Wahrheit mies, er dreht seine Fahne nach dem Wind. Peter Matić ist der goldrichtige Mann für den k.u.k. Minister, wirkt aber zu brav – wie auch André Pohl als Ebenwald, Bernhardis Rivale. Thomas Kamper amüsiert als sozialdemokratischer Hofrat Winkler. Tobias Voigt überzeugt als Pfarrer. Eduard Wildner gibt den eitlen Gynäkologen. Florentin Groll als Nervenarzt hat den trockenen psychiatrischen Durchblick. David Oberkogler ist ein temperamentvoller Dozent Löwenstein. Alles sehr schön, aber jetzt sollte man etwas Zeit vergehen lassen bis zum nächsten „Bernhardi“ – vielleicht mit einem jüngeren Ensemble.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 07.07.2015)

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