Art Carnuntum: Fusion von Historie und Gegenwart funktioniert nicht wirklich

(c) Teresa Zötl
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Das Deutsch-Griechische Theater aus Köln gastiert in Petronell mit den „Schutzflehenden“ nach Aischylos. Vom alten Text blieben nur Fragmente, er wurde mit heutigen Flüchtlingstragödien angereichert. Kostas Papakostopoulos' Inszenierung ist gut, aber wenig innovativ.

„Zeus/Flüchtlingshort/Schau gnädig herab auf unseren Zug/Der zu Meer von des Nilstroms Mündungen her/Von den feinsandigen/aufbrach/und verlassend die heilge Heimat/die an Syria grenzt/flohn wir . . .“ Hier spricht der Chor aus Aischylos' „Schutzflehenden“ 466 v. Chr. Der Aristokrat, dessen bekannteste Stücke „Die Orestie“ und „Die Perser“ sind, war auch Schauspieler und Soldat. Der Raum im und um das Mittelmeer, das gerade jetzt im Sommer als freundlicher Fluchtort Touristen anzieht, war schon immer ein schwer umkämpftes Gebiet: Griechen gegen Trojaner, Perser gegen Griechen, Punier gegen Römer, Türken gegen Griechen, Italien/Deutschland gegen Amerikaner/Briten im II. Weltkrieg.

Eine kleine Ausstellung beim Festival Art Carnuntum zeigt den Wandel im Römischen Reich von den Christenverfolgungen zur Etablierung dieser Religion, auch anhand einer Mittelmeerkarte. Seinen internationalen Gastspielreigen mit „Romeo und Julia“ oder „Philoktet“ beschloss Art Carnuntum Samstagabend mit den „Schutzflehenden“ vom Deutsch-Griechischen Theater in Köln. Immer wieder interessant ist in diesen Zeiten von Spardebatten bei der Bühnenkunst, mit wie wenig szenischem Aufwand Geschichten erzählt werden können: ein weißes Leintuch, ein paar Kleider und Fetzen, Schirme, Video. Todgeweiht wird das Theater nie sein.

Temperamentvolles Spiel

Über das Konzept des Regisseurs Kostas Papakostopoulos lässt sich allerdings streiten. Erfinderischer verknüpfte Elfriede Jelinek „Die Schutzflehenden“ mit der Besetzung der Votivkirche durch Asylwerber (Burgtheater). Nur: Wie viel haben „Die Schutzflehenden“ mit heutigen Flüchtlingstragödien zu tun? Die heutigen Flüchtlinge übers Mittelmeer verlassen ihre Heimat nicht wegen „arrangierten Ehen“ und „Verwandtenheiraten“, wie es im Text in Carnuntum heißt, sondern wegen Bürgerkriegen, in denen ihnen der Tod droht. Von Aischylos' wuchtigem Original blieb wenig übrig: Die 50 Töchter des Danaos sollen mit den 50 Söhnen des Aigyptos, ihren Cousins, verheiratet werden. Sie fliehen nach Argos, der dortige König Pelasgos nimmt sie auf, doch seine humanitäre Hilfsaktion wird alsbald infrage gestellt, denn ein Heer der Aigyptos-Söhne ist unterwegs, um die Mädchen zurückzuholen . . .

Bei Papakostopoulos ist Kapitän Danaos (Thomas Franke) ein zwielichtiger Mann, kaum kommt er mit seinen Frauen an, schon drückt ihm der König (Stefan Kleinert) einen Packen Geld in die Hand. Es ist ziemlich klar, dass die Opfer davon nur einen kleinen Teil sehen werden. Der König protokolliert penibel Identität und Geschichte der Asylanten, sie bekommen etwas zu essen und schwarze Schlafsäcke, werden aber aufgefordert, niemanden zu provozieren und auch sonst nicht lästig zu sein. Die drei temperamentvollen Damen (Terja Diava, Stephanie Meisenzahl, Elisabeth Pleß) erzählen von den Katastrophen, denen sie entronnen sind, von ihrer Angst – und später von ihren Träumen. Da haben sich der Kapitän und der König in Beamte des Einwanderungsapparates verwandelt, sie lauschen zerstreut den Erzählungen der Damen, wollen sie abschieben.

Illustration der Medien-News

Papakostopoulos hat recherchiert, teils erschütternde Zitate gesammelt, vor allem von der völlig überlasteten Hamburger Ausländerbehörde, in der bürokratischer Zynismus blüht – vermutlich nicht nur dort. Die Schauspieler überzeugen. Letztlich aber wird hier nur erzählt, was jeder weiß, mit Ausschnitten aus Euronews endet denn auch nach 100 Minuten die Aufführung. Überraschende Wendungen oder Auswege gibt es nicht. So ist es oft mit dem politischen Theater. Statt Fantasie zu entfalten, werden – durchaus gekonnt – die Abendnachrichten illustriert.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 13.07.2015)

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