Ein "Kommunist" für die Kultur im hohen Salzburg

Brecht Festival 2013
Brecht Festival 2013Karl-Josef Hildenbrand / dpa / picturedesk.com
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Beinahe hätte der Komponist Gottfried von Einem den Dramatiker Bertolt Brecht nach dem Zweiten Weltkrieg für die Salzburger Festspiele gewinnen können.

Diesen Sommer besucht jener Unterweltler aus London die Salzburger Festspiele, der die Gründung einer Bank für schändlicher hält als einen Einbruch in eine solche: Mackie Messer. Am 11. August hat die „Salzburger Dreigroschenoper“ Premiere, eine Variante des Stücks von Bertolt Brecht mit Songs von Kurt Weill in musikalischer Experimentalfassung von Martin Lowe. Der „Salonkommunist“ Brecht und bürgerliche Höchstkultur friedlich vereint – ja dürfen die denn das?

Jederzeit! Fast wären sie schon vor mehr als sechzig Jahren zusammengekommen, die Festspiele und der radikale Erneuerer des Theaters der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, der 1928 in Berlin mit der „Dreigroschenoper“ seinen größten Erfolg hatte, nach der Machtergreifung der NSDAP 1933 ins Exil flüchtete und nach komplizierter Rückkehr als eine Art Staatsdichter der DDR 1956 in Ostberlin starb. Nach dem Zweiten Weltkrieg, als Brecht wieder in Europa war, ab 1947 in der Schweiz, bestand die Möglichkeit, dass er für die Salzburger Festspiele arbeiten könnte. Stattdessen kam es zum Skandal, der im Boykott der Stücke dieses sozialkritischen Dramatikers durch Wiener Kritiker und Intendanten endete.

Was war das für eine verunglückte Beziehung zu Österreich, das noch bis 1955 von den Besatzungsmächten kontrolliert wurde, von dem es heißt, dass es ein gutes Land sei? Immerhin erhielten Brecht und seine Frau Helene Weigel 1950 seine Staatsbürgerschaft. Aber die Geschichte wirkt heute wie eine zynische Passage aus einem seiner Stücke. Die Salzburger Brecht-Episode ist v.a. aus der Atmosphäre des Kalten Kriegs zu verstehen und den Problemen, die Heimkehrer aus dem Exil bei der Wiedereinbürgerung hatten.

Im April 1948 beklagte sich Brecht in einem Brief an einen US-Schriftsteller über das „anstrengende Geschäft der Exilierten: das Warten“. Er und Weigel waren durch die Nazis staatenlos geworden, in der Schweiz waren sie nicht auf Dauer willkommen. Als Postscriptum schrieb Brecht: „Im Augenblick denke ich auch daran, mich im Österreichischen, in der Salzburger Gegend niederzulassen, um einen Punkt zu haben, zu dem man zurückkehren (und den man verlassen) kann.“ Damals knüpfte er bereits Kontakt zum jungen Komponisten Gottfried von Einem, der Mitglied im Direktorium der Salzburger Festspiele war, sie sprachen in Zürich über eine mögliche Zusammenarbeit. Im Herbst 1948, auf dem Weg nach Ostberlin, wo Helene Weigel am Deutschen Theater die „Mutter Courage“ inszenieren sollte, machten sie und Brecht Halt in Salzburg, das Paar verbrachte einen Abend mit von Einem. Man wälzte Projekte.


„Ein Asyl, also ein Pass“. Die Pläne wurden fast konkret. Im April 1949 schrieb Brecht: „Ich weiß jetzt auch ein Äquivalent, mehr für mich wert als Vorschuss irgendwelcher Art; das wäre ein Asyl, also ein Pass.“ Weigel sei ja gebürtige Österreicherin. „Ich kann mich ja nicht in irgendeinen Teil Deutschlands setzen und damit für den anderen Teil tot sein. Vielleicht können Sie mir da wirklich helfen?“ Er ließ bereits durchklingen, was sein Motiv gewesen sein könnte: Beweglichkeit. Brecht wollte für den gesamtdeutschen Markt verfügbar sein. Österreich bot die Möglichkeit, zwischen Ost und West zu lavieren. Von Einem biss an. Er schrieb: „Ich werde alles in meinen Kräften Stehende für Brecht tun. Ich werde es gerne tun. Er wäre eine ungeheure Bereicherung für Österreich, besonders aber für unseren Kreis.“

Auch der Direktor hatte ein gutes Motiv. Brecht hätte die Festspiele beleben sollen, mit einer eigenen, neuen Salzburger Dramaturgie. Geplant war ein (nie vollendetes) Drama, ein Gegen-Jedermann, der „Salzburger Totentanz“. Der Komponist intervenierte, suchte Verbündete in Politik und Kultur für die Einbürgerung des Dichters.

Tatsächlich, die Bürokratie setzte sich in Gang. Brecht schrieb einen Antrag, meldete sich als Untermieter an der Adresse von Einems am Mönchsberg17 an, obwohl Weigel bereits eine Wohnung in Ostberlin besorgt hatte, Brechts Lebensmittelpunkt längst dort war. Am 12.April 1950 aber erhielten er und Weigel österreichische Pässe. Sie waren bereits in der DDR-Kultur verankert, als es stark verzögert und vor allem in Salzburg zum Skandal kam.

Im Herbst 1951 wurde über die „Presse“ publik, dass Brecht in Österreich eingebürgert worden war. Daraufhin publizierte der Chefredakteur der „Salzburger Nachrichten“, Gustav Canaval, am 2.Oktober 1951 einen Artikel, in dem er gewissen Kreisen in Österreich Kultur-Bolschewismus unterstellte. Ihnen sei es zu „verdanken“, dass ein „Berliner Salonkommunist“ Salzburger geworden sei: „Warum Bert Brecht, der zum verspäteten Landsturm des kommunistischen Avantgardistentums gehört, heute ausgerechnet nach Salzburg blickt, wohin er passt wie der Dieselmaschinist ins Oratorium, ist zunächst unerfindlich.“

Eine Schande? Andere lokale Blätter stimmten mit ein, manche voller Hysterie. Es herrschte längst Kalter Krieg, und Gottfried von Einem wurde eines seiner Opfer. Es kam noch im Oktober im Kuratorium zum Eklat mit Landeshauptmann Josef Klaus, der wegen anderer, strittiger Einbürgerungsverfahren unter Druck stand. Der ÖVP-Politiker warf dem Komponisten Unterwanderung vor. Es kam zu wilden Beschimpfungen, ein Sessel wurde umgestoßen, von Einem verbat sich den unverschämten Ton. Klaus forderte den Ausschluss des Musikers aus dem Direktorium. So geschah es auch.


Späte Versöhnung. Dagegen protestierten nun namhafte Künstler. Die Lösung: Der Komponist konnte offiziell nicht mehr in seiner Leitungsfunktion bleiben, weil er gerade seine Oper „Der Prozess“ vollendete (die 1953 in Salzburg uraufgeführt wurde). Das sei ein Interessenskonflikt. Auch danach kehrte er nicht ins Direktorium zurück, man schuf stattdessen einen Kunstrat für Salzburg, dem von Einem vorstand. Erst vierzig Jahre später haben sich Klaus und von Einem versöhnt.

In Wien aber begann bald nach dem Salzburger Gewitter der von den Publizisten Hans Weigel und Friedrich Torberg herbeigeschriebene Brecht-Boykott. Kein großes Theater spielte für ein ganzes Jahrzehnt die Stücke des ostdeutschen Neo-Österreichers. Erst 1963 inszenierte Gustav Manker im Volkstheater „Mutter Courage und ihre Kinder“. Bei den Salzburger Festspielen dauerte es ein paar Jahrzehnte länger, bis Brecht wieder zu Ehren kam.

SYMPOSION

Salzburger Festspiele.„Bertolt Brecht: So viele Berichte, so viele Fragen“ heißt heuer ein Symposion des Festivals in Kooperation mit der „Presse“ an drei Tagen über Brecht und den Brecht-Boykott 1951 (Schüttkasten).

Karl Schwarzenbergspricht am 27.7. über das Thema „Kalter Krieg, damals und heute“. Weitere Referenten sind Hellmuth Karasek („Spiegel“, „Literarisches Quartett“), Kurt Palm (schrieb ein Buch über den Brecht-Boykott), Robert Kriechbaumer (Historiker, Politologe).

Elisabeth Orth liest am 5.8. Brecht-Texte. Weitere Referenten sind der Autor Albert Ostermaier (er spricht über Brecht für Städtebewohner) und Kritiker Peter Iden („Theater heute“, er befasst sich mit dem, was von Brecht bleibt, poetisch, dramatisch, politisch).

H. K. Gruber, der Musiker und Komponist (er hat zuletzt Horváths „Geschichten aus dem Wiener Wald“ vertont), spricht am 11.8. mit Norbert Mayer darüber, wie man Brecht singt. Gruber dirigiert am 15.8. in Salzburg auch die konzertante „Dreigroschenoper“ mit Mackie Messer Max Raabe. Ferner singt Gruber den Bettlerkönig Peachum.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 19.07.2015)

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