Salzburg: Der Überfall auf die Desperate Housewives

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Peter Konwitschny dreht Festspielen, Publikum und Komponist die lange Nase, macht aus der „Eroberung von Mexico“ plattes Schülertheater. Wen scheren schon Kolonialismus und Genozid angesichts der Gewalt im Wohnzimmer?

Den Salzburger Festspielen gelang eine vorbildliche Aufführung von Wolfgang Rihms mittlerweile zwei Jahrzehnte altem Musiktheaterversuch „Die Eroberung von Mexico“. Musikalisch. Dirigent Ingo Metzmacher hat – unter Einbeziehung von Tonbändern der Chorpassagen, die für die Produktion dieses Werks am Teatro Real von Madrid hergestellt wurden – mit dem Wiener Radiosymphonieorchester und einem hoch engagierten Ensemble von Gesangssolisten und Sprechern eine suggestive Klangcollage erarbeitet.

Das muss es wohl gewesen sein, was sich Rihm erträumt hat. Kein klassisches Theaterhufeisen bietet so viel Platz wie die Felsenreitschule für die verschiedenen Schlagwerker- und Bläsergruppen, die im Auditorium agieren wie im Raumklangkino (das damals noch in den Kinderschuhen steckte).

Das Stück beginnt schon, wenn noch gar nicht alle Festspielbesucher ihre Plätze eingenommen haben. Trommelgeräusche allenthalben, bald vom Orchester aufgenommen, durch abgehackte Geräusche von Sprech- und Gesangsstimmen angereichert. Die Sache hat keinen Anfang. Sie findet auch kein rechtes Ende. Eine unendliche Spur von Wachsen, Werden, versuchter Formgebung und mutwilliger Zerstörung zieht sich durch die Partitur.

Großes Theater in Klängen

Einzelschicksale lösen sich aus diesem Kontinuum, nehmen Gestalt an: Sopranstimme (Angela Denoke) und ein Bariton (Bo Skovhus) wachsen sich zu Hauptfiguren aus. Wolfgang Rihm hat Antonin Artauds „Eroberung von Mexico“ arrangiert: Anarchisches Antitheater, für sich genommen wohl schon stark angegraut im Versuch, überkommene Spielweisen zu dekonstruieren. Musik kann dergleichen neu definieren, zusammenhalten durch klangliche Assoziationsketten, neu gliedern durch Rhythmisierung en détail und en gros. So kann sie zur theatralischen Sinnfindung beitragen.

„Neutral. Männlich. Weiblich?“, fragen die Darsteller. Die Frauenstimme – oft durch zwei Trabantinnen verstärkt, reflektiert, erweitert (in höchsten Höhen mit Stimmtodesverachtung: Susann Andersson, in der Tiefe Marie-Ange Todorovitch) – ist dem Montezuma zugeordnet, der Bariton dem Cortez. Männliches Prinzip: Eindringen, erobern, unterdrücken, ermorden. Weibliches Prinzip? Neutrales Prinzip? Die Musik lässt sich auf derlei Plattitüden nicht ein. Die Klangschicksale begegnen einander, verweben sich ineinander, stoßen einander wieder ab – die Salzburger Produktion macht das auf mitreißende Weise hör- und sichtbar. Brutale Schlagzeugaktionismen, apokalyptische Trompetenstöße werden durch fragile, am Rande der Hörbarkeit siedelnde Violinkantilenen beantwortet: Konzertmeisterin und Konzertmeister des RSO sind am Bühnenrand in den alles grundierenden Autowracks (Szene: Johannes Leiacker) postiert.

Kleinliches Allerweltstheater

Dieses akustische Theater ist von perfektem Zuschnitt. Es ließe sich darin, weil da alles zu tönen scheint, was sich unsere Schulweisheit zwischen Himmel und Hölle nur ausmalen kann, die Geschichte eines Eroberungsfeldzugs zeigen, der Vernichtung einer Hochkultur durch eine andere, die zerstörungstechnisch elaborierter ist; doch siedelt sie moralisch, kulturell, zivilisatorisch höher, tiefer, gleichauf?

Derlei philosophische Fragen könnte sich der Theaterbesucher stellen, wollte er sich mit der „Eroberung von Mexico“, mit Kolonialisierung und Genozid auseinandersetzen, wollte der Theatermacher ihn damit behelligen.

Dieser will aber nicht. Peter Konwitschny hat offenbar beschlossen, den Festspielbesuchern die lange Nase zu drehen, und dem Komponisten Wolfgang Rihm dazu, denn er nutzt dessen Stück als Soundtrack zu einer Art Parodie auf eine Vorabendserie. In einem (den Autowracks aufgesetzten) neuzeitlichen, mit Selbstbauregalen ausstaffierten Wohnzimmer wirbt – mit Rosenstrauß – ein Eindringling um die Hausfrau. Ungelenk und linkisch zunächst, versucht er sie bald zu vergewaltigen, was ihm erst unter Hinzuziehung einiger aus dem Auditorium zu Hilfe eilender Hooligans gelingt.

Statt Gold erlangen diese rezenten Conquistadoren Go-go-Girls – und tauschen dagegen nicht eine Muttergottes-Statue, sondern einen roten Sportwagen. Die dieserart eroberte und in der Folge schwangere Wohnungsinhaberin gebiert Tabletts und Mobiltelefone, die in der Folge wiederum des Eroberers gesamte Aufmerksamkeit absorbieren: Endlich Krieg spielen – in unseren humanen Tagen gottlob nur noch virtuell. Wir haben längst andere Sorgen: In Agitprop-Manier marschieren die Sängerinnen durch die Reihen der Festspielbesucher und herrschen sie an: „Wie Affen greift ihr nach dem Gold.“ Spätestens nach dem sonntäglichen „Jedermann“ gehen dann aber auch alle bestimmt nur noch in Sack und Asche . . .

Nur im Dunkeln ist gut singen

Solches peinliches Schülertheaterniveau wollen wir einem Peter Konwitschny nicht unterstellen? „Die Eroberung von Mexico“ hat er sich jedenfalls nicht zum Thema genommen. Immerhin bleibt die musikalische Leistung bewundernswert. Den Gesangssolisten gesellen sich mit Stephan Rehm und Peter Pruchniewitz zwei auftragsgemäß unter Hochdruck stöhnende, stammelnde und hechelnde Sprecher hinzu und machen das Geräusch-Ton-Klangmaß voll. Angela Denoke und Bo Skovhus singen zuletzt in völliger Finsternis ein zartes (nur von einer kleinen Irritation getrübtes) Schlussduett nach Octavio Paz, ein großer Moment stiller Einkehr nach tosenden Stürmen, groß auch deshalb, weil da endlich nichts mehr zu sehen ist . . .

("Die Presse", Print-Ausgabe, 28.07.2015)

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