ImPulsTanz: Die Muskeln als Gedächtnisstütze

(c) APA (Dvorak&Salzmann)
  • Drucken

Die britische Tänzerin Esther Balfe arbeitet gern in Wien - auch wenn es sie noch immer ärgert, dass das Tanztheater Wien aufgelöst wurde. Heute gibt es ein Revival.

Wie so oft ist eine Tugend aus der Not entstanden. Weil das ImPulsTanz-Festival sich heuer kaum internationale Gäste und Compagnien leisten kann, kommen mehr heimische Choreografen und Tänzer zum Zug (bzw. viele, die hier heimisch geworden sind). Da zeigt sich, wie vielfältig das künstlerische Biotop der Wiener Performance-Szene ist, in der vielfältige Ideen gedeihen – was sogar dann anregend ist, wenn es, wie bei der Uraufführung von Anne Jurens „The Point“ am Mittwoch, völlig okay ist, auf der bereitgestellten Matte (zur sonor vorgetragenen Fantasiereise in den eigenen Körper und zu einem imaginierten Aufmarsch von Marienkäfern) leise einzuschlafen. Die Französin Juren ist eine jener Zugereisten, die die Szene bereichern. Esther Balfe auch. „Ich will immer, dass neben meinem Namen AT/UK steht“, sagt die ehemalige Forsythe-Tänzerin lachend und mit einem unüberhörbaren Anflug von Österreich-Patriotismus. „Ich komme zwar aus Großbritannien, aber ich wurde hier während meiner ganzen Karriere unterstützt. Hier bin ich daheim.“

Sie sagt das, obwohl sie die Auflösung des Tanztheaters Wien (TTW), wo sie 1995 bis 2005 engagiert war und mit dem sie an der Volksoper tanzte, bis heute ärgert. „Ich habe mir unlängst unsere Videos von der Volksoper angesehen. Es war eine spannende Zeit – und dann wurde das einfach abgehackt. Alles, was aufgebaut war, wurde zerstört. Es ist eine Schande.“ Die Tanzszene leide bis heute darunter: „Choreografen bekommen Unterstützung, aber es gibt Widerstand der Stadt Wien, eine zeitgenössische Company zu gründen.“ Die mit dem Staatsopernballett fusionierte Volksopern-Truppe habe „keine eigene Identität“ wie sie das Tanztheater Wien gehabt hat. Auch Homunkulus – die Company von Manfred Aichinger und Nikolaus Selimov – gibt es nicht mehr. „Das ist sehr schade“, findet die Tänzerin, die inzwischen am Konservatorium Wien unterrichtet (Studiengangsleiter ist Selimov). Der Nachwuchs finde heute weniger Möglichkeiten, weniger Vielfalt und weniger Chancen auf Sicherheit im Beruf, sagt Balfe.

Doch nicht Nostalgie dominiert, wenn sie heute im Akademietheater gemeinsam mit anderen ehemaligen Mitgliedern des Tanztheaters Wien ein Revival auf die Bühne bringt – vielmehr ist es ihr Wunsch, sich noch einmal an die Stücke von damals zu erinnern und darin Neues zu entdecken. In „Back to the Future“ werden Ausschnitte aus Stücken des Tanztheaters Wien verarbeitet. „Das ist eine schöne Idee“, findet sie.

Erfahrungen aus 30 Jahren Tanz

„Es ist wichtig, dass wir das nicht so machen wie damals, sondern dass wir die Informationen dazunehmen, die wir seither gewonnen haben, und den Tanz noch einmal neu produzieren.“ Daraus und aus der Tatsache, dass Tänzer aus den verschiedenen Phasen des Tanztheaters Wien hier erstmals zusammenkommen, ergibt sich eine neue Dynamik. „Unsere Körper können die alten Schritte vielleicht nicht mehr machen, aber manche von uns haben dreißig Jahre Erfahrung. Da ist die Frage: Was kann man damit machen? Wie drückt man sich heute auf der Bühne aus?“ Sicher ist das Publikum besser vorbereitet als einst, als es die Company noch gab: „Die Leute in Wien waren es nicht gewohnt, jemanden zu sehen, der eine klassische Tanztechnik hatte, aber zeitgenössisch tanzte. Diese Art von Körperlichkeit hatte man hier noch nie gesehen – das war ganz anders als alles, was das Publikum kannte.“ Später kam es in Mode, die Bewegungen immer weiter zu reduzieren. „Aber der Tanz im Sinne von Bewegung im Raum, der kommt jetzt wieder. Und das ist gut.“

Mit ihren Studenten vom Konservatorium hat Balfe für einen ImPuls-Gemeinschaftsabend („Brown, King & Uhlich“) das Stück „Schwanensee Remixed“ von TTW-Gründerin Liz King und Catherine Guerin neu einstudiert. Sie wolle ihre Studenten „eher beeinflussen als belehren“. So wie sie es selbst erlebt hat: „Forsythe hatte großen Einfluss auf mich.“ Sein Repertoire steht selbstverständlich bei ihr auf dem Stundenplan. Und da hat sie noch nie eine Bewegung vergessen? „Nein. Die Muskeln erinnern sich. Wenn ich die Musik höre und die erste Bewegung mache, dann weiß ich ohne nachzudenken, wie es weitergeht.“

IMPULSTANZ MADE IN AUSTRIA

Österreichische Produktionen stehen heuer im Mittelpunkt: Amanda Piña und Daniel Zimmermann erforschen bedrohte Bewegungen (31.8.), das Tanztheater Wien die eigene Vergangenheit (30.7., 1.8.) und Superamas die Geschichte der Gewalt (31.7., 2.8.). Anne Juren verbreitet Küchenzauber (3.8.), Philipp Gehmacher sieht eher das Grau des Lebens (4., 6. und 8.8.), Akemi Takeya wiederum sucht nach Solidarität (5. und 7.8.). Und die Studenten des Konservatoriums zeigen Stücke von Trisha Brown, Liz King, Doris Uhlich (6.8.). Mehr: www.impulstanz.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 30.07.2015)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.