Schmalz und Riedl: Fette Metaphern und Lebenslücken

(c) Christine Pichler
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Autor Ferdinand Schmalz spricht über den Humor in seinen Katastrophendramen. Regisseurin Carina Riedl erzählt, wie die Welt verändert werden sollte.

Neue Wege zum Schmalz sucht der Autor gleichen Namens, Ferdinand Schmalz, der eigentlich Matthias Schweiger heißt – mit „fetten Metaphern“, wie er schmunzelnd bekennt. Der Steirer, Sohn eines Arztes, der bei den Benediktinern in Admont zur Schule ging, hat sozusagen das Melodram neu erfunden, sprachlich mit Subebenen und mit gesellschaftskritischen Botschaften versehen. Nach „am beispiel der butter“, in dem Schmalz Prassen und Nächstenliebe in der Molkereibranche beschreibt, das Stück war 2014 im Burg-Vestibül zu sehen, geht es in „dosenfleisch“ (ab 18. 9. im Kasino) um womöglich schlimmere Kollisionen: um einen Autounfall, die diesem nachforschende Versicherung und um die Mobilität, die den Menschen nie zur Ruhe kommen lässt. Schmalz und „dosenfleisch“-Regisseurin Carina Riedl, die aus Oberösterreich stammt, verbindet die überwältigende Begegnung mit der Großstadt, aber auch die Sehnsucht nach einer großen Utopie, in der Menschen wieder leben und nicht gelebt werden.

Soll ich Herr Schmalz oder Herr Schweiger zu Ihnen sagen?
Ferdinand Schmalz: Kommt drauf an, mit wem Sie sprechen wollen.


Mit „am beispiel der butter“ haben Sie einen Kickstart am Theater hingelegt – und wurden u. a. von „Theater heute“ zum Nachwuchsautor des Jahres gewählt. Wie hat sich der Arztsohn Matthias Schweiger in den Autor Ferdinand Schmalz verwandelt?
Schmalz: Der Künstlername hängt damit zusammen, wie ich schreibe. Ich habe eine sehr deftige Sprache, fette Metaphern liegen mir. Ich war Mitglied einer freien Gruppe, die bespielbare Installationen gebaut hat, Mulde 17 hieß das Kollektiv, weil eines der Mitglieder der Gruppe von bildenden Künstlern und Theaterleuten im 17. Bezirk gewohnt hat. Ich war meist für die Texte und Konzepte verantwortlich, von denen leider auch einige abgelehnt wurden. Aus dieser Arbeit entstand bei mir der Wunsch, mich tiefergehend mit Sprache auseinanderzusetzen. Aus einem der Texte entstand mein erstes Stück „am beispiel der butter“, das ich beim Retzhofer Dramapreis von uniT Graz, einer Initiative der Karl-Franzens-Universität für junge Künstler und Künstlerinnen, eingereicht habe.


Wenn man im Internet „dosenfleisch“ eingibt, kommt Ferdinand Schmalz, nicht mehr Corned Beef. Ein durchschlagender Erfolg für Ihr literarisches Produkt. Worum geht es in dem Stück?
Schmalz: Es geht um Menschen auf der Autobahn, die in ihre Autos wie in Dosen eingekeilt sind. Wenn es einen Unfall gibt, bricht ihr Fleisch aus diesen Dosen heraus. Die Frage auf der Meta-Ebene ist, wie sehr führen wir ein Leben, als wären wir gefangen in einer Konservendose, wie sehr ist unser Leben durch zu viele Verpflichtungen so geschmacklos geworden wie Frühstücksfleisch?


Was wäre Ihrer Meinung nach eine nicht entfremdete Existenz?
Schmalz: Ich glaube, wir müssen versuchen, unsere Lebensformen wieder größtmöglich selbst zu bestimmen und uns nicht in vorgefertigte Lebensläufe einzufügen.


Geh, wohin dein Herz dich trägt – und schlaf unter der Brücke. Die meisten Menschen müssen arbeiten, um Geld zu verdienen.
Schmalz: Unsere Lebensläufe sind lückenlos geworden, wir können uns auch gar keine Lücken mehr leisten, keine Pausen, um durchzuschnaufen. Wenn sich eine Lücke auftut oder es eine Zäsur gibt, ist das ein Problem. Wir können unser eigenes Lebenstempo nicht mehr selbst bestimmen.


Wo finden Sie die Inspiration für Ihre Stücke?
Schmalz: Bildende Kunst hat mich stark beeinflusst. Einer meiner besten Freunde, Valentin Aigner, ist bildender Künstler und hat bei Gunter Damisch studiert. Wir zeigen uns gegenseitig, was wir machen. In der Anfangsphase schaue ich mir immer viele Fotos an, alte und neue. Meine Texte sind stark von Fotografie beeinflusst und auch von Malerei.


Sie und Frau Riedl sind mehr oder weniger im Dorf groß geworden. Verbindet das?
Carina Riedl: Auf jeden Fall. Ich bin in Oberösterreich aufgewachsen und wollte vor allem raus. Ich habe überlegt, Germanistik zu studieren, aber ich wollte mir nicht die Sprache und die Auslegung von Literatur wegnehmen lassen, also habe ich Theaterwissenschaften gewählt. Ich bin auf ein Studentenkollektiv namens „stuthe“ gestoßen – und habe als Erstes Schnitzlers „Das weite Land“ inszeniert. Danach war klar, dass ich Regie machen möchte.


Sie sind nicht Schauspielerin, spielen dem Ensemble nichts vor?
Riedl: Das versuche ich zu vermeiden. Ich habe parallel zum Studium hospitiert und assistiert – und in Wien in der freien Szene gearbeitet. Ich wollte nichts weniger, als bei einer Institution landen. Am Tag der Abgabe meiner Diplomarbeit kam dann die Anfrage vom Burgtheater, ob ich eine feste Assistentenstelle übernehmen will. Das wollte ich natürlich nicht ausschlagen.


Herr Schmalz, Sie sind in Admont aufgewachsen und haben das Gymnasium am dortigen Benediktiner Stift absolviert.
Schmalz: Ja. Ora et labora. Mein Vater war dort Landarzt. Ich habe auch gute Erinnerungen an Admont, aber es ist immer eine zweischneidige Sache, auf dem Land aufzuwachsen. Schon bis zum nächsten Kino ist es weit. Mich hat immer das Theater interessiert, da ist Admont ziemlich abgelegen.


Haben Sie schon in der Schule Theater gespielt?
Schmalz: Ja. Wedekinds „Frühlings Erwachen“, das war die Initiation. Ich habe den Moritz gespielt, eine tolle Rolle. Aber es war auch hart, weil sich kurz vorher ein Schüler der achten Klasse vor den Zug geworfen hat. Wir haben lang diskutiert, ob wir das Stück machen sollen, wir haben uns dafür entschieden, auch um uns mit diesem tragischen Selbstmord auseinanderzusetzen.


Wie war es für Sie beide, in die Großstadt zu kommen? Ist das nicht manchmal überfordernd?
Schmalz: Ich habe es sofort sehr genossen, in Wien zu sein. Ich bin ein Typ, der schnell sagt: Ich muss raus. Jetzt ist es schön, auch im deutschsprachigen Raum wahrgenommen zu werden, in Deutschland, in der Schweiz. In Wien ist die Szene doch begrenzt.
Riedl: Für mich war Wien der erste Ort, wo ich das Gefühl hatte, jetzt kann ich atmen. Ich wollte ja nach Berlin, aber ich bin dann in Wien hängen geblieben, wegen des Burgtheater-Angebots. Das habe ich auch nie bereut.


Frau Riedl, was sehen Sie als Regisseurin in diesem Stück, „dosenfleisch“, das doch auch amüsant ist, abgesehen von dem schweren Thema des heutigen Lebens im Hamsterrad.
Riedl: Das ist es eben. Ferdinand Schmalz nimmt sich ein großes Thema vor, behandelt es aber mit einer ganz großen Leichtigkeit und mit Humor – er bringt mich, uns zum Lachen. Aber es steckt auch eine große Utopie in dem Text: Wir leben in einer Welt extremer Schnelligkeit, extremer Ansprüche an die Flexibilität und einer großen Beliebigkeit von Lebensentwürfen. Man steckt in tausend Routinen und dieses Stück sucht einen Ausweg daraus, eine Exitstrategie. Dabei setzt es aber nicht beim System an, sondern beim einzelnen Menschen. Das Drama versucht im allerkleinsten Moment eine Sprengkraft zu finden und eine Veränderbarkeit durch den Einzelnen aufzuzeigen. Ich denke, dass das meine Generation von den heute über 40-Jährigen unterscheidet, diese Suche nach einer Utopie, dass man sich diese Sehnsucht wieder zugesteht. „Dosenfleisch“ ist ein Krimi, eine Komödie, aber das Stück will auch etwas Großes.


Und wie sieht Ihre Exitstrategie aus?
Riedl: Ich versuche, immer wieder größere Reisen zu machen, zum Beispiel war ich sechs Wochen in China.


Sprechen Sie die Sprache?
Riedl: Nein, aber es ging gut mit Englisch. Ich finde es wichtig, dass man sich immer wieder Zeit nimmt, für Reorientierungsphasen, eine Neuaufstellung oder Umjustierung. Es wäre schön, wenn man die Gesellschaft so gestalten könnte, dass das leichter möglich ist. Im Moment, habe ich das Gefühl, muss man sehr viel Krampf und Kampf, auch aus existenziellen, finanziellen Gründen, aufwenden, um sich Pausen zu organisieren.


„Dosenfleisch“ spielt auf einer Raststätte. „Raststätte – oder sie machen’s alle“ ist auch ein Stück von Elfriede Jelinek.
Schmalz: Das Stück habe ich mal in der Schule gelesen. Aber als ich „dosenfleisch“ geschrieben habe, habe ich eher an meine eigenen Erfahrungen gedacht. Ich bin mit dem Auto durch Kalifornien gereist und war sehr viel auf Raststätten und in Motels. Das sind so Durchgangsräume, man kommt dort nicht wirklich an, kann sich auch nicht aufhalten, man wird abgefertigt und fährt wieder weiter. Ich finde, die Raststätte ist so eine Metapher, mit der man versucht, der Grundraserei auszukommen, was aber nicht wirklich funktioniert. Man nimmt sich raus aus dem Geschehen, um wieder zu sehen, wo man steht. Aber letztlich ist man ständig unterwegs.


Inwieweit beeinflusst das Schreiben am Computer Ihre Arbeit? Früher haben Autoren mit der Hand geschrieben.
Schmalz: Das wäre für mich unmöglich, weil ich sehr viel umschreibe und umstelle.


Welche Autoren waren wichtig für Sie?
Schmalz: Viele. Nestroy, Jura Soyfer, Marie Luise Fleißer, Horváth, Rainald Goetz, Werner Schwab, Elfriede Jelinek.
Schüchtern einen solche Giganten nicht ein?
Schmalz: In der süddeutschen und österreichischen Literatur sind die artifiziellen Sprachstandpunkte sehr fest bezogen. Aber ich versuche, meinen eigenen Ton zu finden.


Woran arbeiten Sie momentan?
Schmalz: An einem Auftragswerk für das Zürcher Schauspielhaus: „Der thermale Widerstand“. Es geht um das Ungenießbare am Kurbad und um einen Partisanen-Bademeister, der diese Wohlfühlblase Bad zu einem Schauplatz des Widerstandskampfes macht. Meine Stücke sind immer mit Humor verbunden, aber hier geht es auch um die Frage, wie stark wir uns heute schon in unserer Wohfühlblase eingewöhnt haben und was passieren muss, damit wir Widerstand leisten.
Riedl: Humor braucht die größte Klarsicht, die größte Analysefähigkeit der Gesellschaft. Im Humor und in der Satire steckt ein großes Wissen um die Möglichkeit von Veränderung.


Wie sagen denn Sie zum Herrn Schmalz? Sind Sie per Du?
Riedl: Ja. Wir kennen uns schon länger. In meiner Assistentenzeit am Burgtheater war er Komparse in einem Stück, bei dem ich die Komparserie betreut habe. Jetzt habe ich ihn gefragt, welchen Namen er bevorzugt, und er hat gesagt, ich soll es mir aussuchen. In dieser Konstellation von Autor und Regisseurin habe ich mich für Ferdinand entschieden.

Tipp

„Dosenfleisch“. Mit Frida-Llovisa Hamann, Tino Hillebrand, Daniel Jesch. Das Stück von Ferdinand Schmalz ist ab 18. September im Kasino zu sehen.
Einen Text von Schmalz spielt auch Veronika Glatzner in ihrem Theaterpojekt „On Display“ am 15. und 16. 9. zur Eröffnung des Kulturherbsts Neubau.

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