Volkstheater: Ein Power-Paar reibt sich auf

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Dušan David Pařízek zeigt "Nora" in einer Kombination von Ibsen und Jelinek. Freunde des Bizarren werden diese engagiert gespielte Aufführung genießen.

Oho, wie experimentell! Wirklich? Ibsen wird schon seit Jahrzehnten nicht mehr traditionell und bieder angeboten. In Leander Haußmanns Regie 1990 in Weimar drehte Steffi Kühnert die Hysterieschraube der Puppenheim-Bewohnerin hoch bis zum Überschnappen, Susanne Wolff, heuer als Clavigo in Salzburg zu sehen, zeigte 2002 Nora am Hamburger Thalia-Theater als nervöse Society-Lady. Als Kult-Aufführung gilt Thomas Ostermeiers „Nora“-Version 2003 mit Anne Tismer an der Berliner Schaubühne: Nora verkleidet sich als Lara Croft und knallt ihren Gatten ab. Wolff und Tismer waren auch in Wien zu erleben.

Vom Düsseldorfer Schauspielhaus kommt nun „Nora3“ ins Volkstheater, eine Kombination dreier Texte, Ibsen, Elfriede Jelineks „Was geschah, nachdem Nora ihren Mann verlassen hatte“ und „Nach Nora“. Zunächst sehen wir eine Betriebsversammlung, bei der Nora sich als neue Mitarbeiterin der Textilfabrik vorstellt und sich Mühe gibt, die Anwesenden davon zu überzeugen, dass sie arbeiten will. Die Textilfabrik ist pleite und soll in die Dritte Welt verlagert werden. Davor aber will Großinvestor Konsul Weygang noch sein Idol Nora auf der Bühne sehen, also spielt diese beim Betriebsfest Ibsens Stück. Hernach wird Jelineks bissige Textfläche über ausgebeutete Arbeiterinnen in der Modeindustrie gegeben. Jelinek galt, als sie noch öffentlich auftrat, als eine der bestangezogenen Damen Wiens. Sie kennt sich mit Shopaholics und Fashion-Victims aus. Trotzdem dominiert Ibsen diesen Abend, er ist der bessere Dialogschreiber als die Literaturnobelpreisträgerin, sie allerdings ist witziger.

Dušan David Pařízek hat „Nora3“ inszeniert. Herr und Frau Helmer sind keine Neubürger aus dem 19. Jahrhundert und auch keine durchtrainierten Yuppies, sondern ein „gestandenes“ Power-Paar, beleibt und energisch. Beide sind starke Persönlichkeiten, sie reiben sich in ihrem Machtkampf auf, wobei Nora immer wieder so tut, als würde sie das „Gadget“ ihres Göttergatten sein. Er aber drischt sie gegen die Wand und vergewaltigt sie. Diese zwei haben sich geliebt, aber die Gefühle sind atomisiert von den Geldproblemen – und als er sie mit ihren geschäftlichen Turbulenzen im Stich lässt, zerschellt der letzte Rest Romantik, sie geht.

Wahnsinn: Reinsperger, Galke

Ibsen, der eine schwierige Ehe führte, war ein Kenner des oft vorhersehbaren Beziehungsparcours. Man heiratet den Falschen („Gespenster“, „Stützen der Gesellschaft“), man verliebt sich in jemand anderen, jüngeren („Baumeister Solneß“), man enttäuscht einander schwer („John Gabriel Borkman“).

Das Dauergetriebe der viel gepriesenen „Nora3“-Produktion – die auch in Wien bei der Premiere am Samstag kräftig bejubelt wurde – schützt wie so oft im Theater durchaus nicht vor Leerläufen. Auch die Verleimung von Ibsen und Jelinek funktioniert nicht ganz . Insgesamt aber ist die zwei Stunden 15 Minuten lange Aufführung stark. Endlich einmal sieht man einen Typen aus der Wirtschaft, der nicht wie ein Schauspieler aussieht! Der korpulente Rainer Galke ist als Helmer mit Ärmelschonern und als Personalchef, der jedem Eigentümer zu Willen ist, hinreißend. Stefanie Reinspergers Nora hat zu viel Energien: Egal, ob sie sich in die Rettung ihres kranken Mannes stürzt oder in einen neuen Job, alles passiert bei ihr holterdipolter und kopfüber – stolz zeigt sie ihre Blessuren: Echte Schrammen hat sie nach diesem Abend unter ihren Netzstrümpfen. Die Frau ist ein Wahnsinn. Und ständig verwandelt sie sich: in eine Ballerina, in eine Jagdbeute mit Geweih, in eine Balldame und am Ende in ein Jeans-Mädchen.

Michael Abendroth überzeugt als herrischer Heuschreckenkapitalist und als verliebter Dr. Rank, der Nora kurz festhält und sie umhalst. Jan Thümer ist der schmierige Geschäftemacher Krogstad, hier ein Mensch, der mit Ernst versucht, wieder ein anständiges Leben zu führen. Thümer spielt auch den Vorarbeiter in der Textilfabrik, in beiden Figuren ist der zwischen Absturz, Aussichten und Einsichten eingeklemmte Kleinbürger abgebildet. Sarah Hostettler ist eine herrlich intrigante Frau Linde und Eva, eine linke Arbeiterin. Bettina Ernst versucht als Kinderfrau Anne-Marie vergeblich, Frau Helmers Aufmerksamkeit auf ihre drei Kinder zu lenken („Es ist Weihnachten!“) – und als Arbeiterin erzählt sie vom unmöglichen Multitasking: Letztlich geht die Arbeit oft vor, was manche Karrierefrau bestätigen wird. „Nora3“ gibt es eben in Wahrheit gar nicht.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 14.09.2015)

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