Andi Arbeit, du Opfer! Hüte dich vor dem Dax!

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Im Volkstheater wird die Uraufführung von »Der Marienthaler Dachs« zur Pleite: Simpel, platt und laut.

Das Beste bei der Premiere an diesem Freitag im Wiener Volkstheater war der Chor bald nach Beginn: Von Regisseur Volker Lösch werden 20 real Arbeitslose zur Schau gestellt. „Jede Arbeit ist besser als keine“, stimmen sie an, erzählen in kleineren Gruppen davon, wie sie nicht mehr ins System gepasst haben, abgebaut, durch billigere Arbeitskräfte ersetzt wurden. Burn-out. Depression. Passivität. Ihr Auftritt rührt, er ist authentisch.

Ähnliche Beobachtungen machten die Wirtschaftspsychologen Marie Jahoda, Paul Lazarsfeld und Hans Zeisel in Marienthal, einem Ort südlich von Wien, der durch Textilindustrie im 19. Jahrundert aufblühte, aber eine schwere Krise durchmachte, als die Fabrik geschlossen wurde. Die Studie „Die Arbeitslosen von Marienthal“ (1933) wurde berühmt. Karin Brandauers TV-Film „Einstweilen wird es Mittag“ hat diese Geschichte 1988 mustergültig verarbeitet.

Von Ulf Schmidts Drama „Der Marienthaler Dachs“, das 2014 den Autorenpreis beim Heidelberger Stückemarkt gewonnen hat und nun als Wiener Fassung uraufgeführt wurde, kann man das nicht behaupten. Was diesem schwachen Werbetext an Ausgewogenheit mangelt, macht der Regisseur durch Plattheit und Lärm wett. Nach ersten Bekenntnissen der Arbeitslosen folgen noch drei Stunden politischen Theaters, die lähmen.

Macht kaputt! Da können gestandene Schauspieler des Hauses wie Claudia Sabitzer und Günter Franzmeier sowie neue Stützen des Ensembles wie Jan Thümer und Steffi Krautz sich noch so sehr abmühen: An ignoranter Simplizität ist dieses „Volksstück“ kaum zu übertreffen. Es agitiert – zu Recht – gegen rechte Hetze, aber im Grunde ist es auf seine Weise ebenfalls hetzerisch. Die Ausgebeuteten sind die Guten, Wirtschaft und Regierende sind die Bösen. Es fehlte nur noch der explizite Aufruf, die Macht kaputt zu machen. Impliziert wird es ohnehin.

Und am Schluss betreibt der Chor rasch noch Wiener Kommunalpolitik, nennt die Übeltäter: Strache, Leitl, Jeannée. Das sind die schlimmen Buben Österreichs. Man hätte statt des Letzteren auch Ulf Schmidt nennen können, denn dessen Text hat bei allem Furor doch nur Kleinformat. Der Kalauer hat hier Saison. Allein die sprechenden Namen der Darsteller sind Programm: Vater Staat, (Franzmeier), Mutter Konzern (Sabitzer), Tochter Gesellschaft (Nadine Quittner) und der kleine Mann (Thomas Frank) bilden die Keimzelle der Familie, sie versuchen im Elend des Verfalls von Marienthal über die Runden zu kommen. Flankiert werden sie von Herrn Knecht (Sebastian Klein) und dem Milchmädchen (Evi Kehrstephan), die eine Wirtschaft betreiben, von Bürgermeister Dieter Oben (Martin Schwanda) und Hauptmann Bleibrecht Weber (Kaspar Locher).

Die herrschende Klasse ist umgeben von der Masse Arbeitsloser. Alle treffen sich an abstrakten Orten wie der „Wirtschaft“, über denen in Neon „Marienthal“ leuchtet. Schriftzug und Möbelfarben sind einer Wiener Süßwarenfirma nachempfunden (Bühne: Carola Reuther). Jeder hier betet den Dachs an, der Gewinn bringen soll, ähnlich dem DAX in Frankfurt am Main. Ein Medium (Gábor Biedermann) in glitzerndem Gold und mit goldenem Strahlenkranz vermittelt gegen Bezahlung die Ratschläge dieses unberechenbaren Tiers.

Dann kommt Bewegung rein: Der Bürgermeister wird gelyncht. Zitat: „Wer hängt jetzt hier untätig herum?“. Nach der Pause gibt es Wahlkampf! Andi Arbeit (Vorsicht, Wortspiel: „An die Arbeit!“) vertritt die Linke, Siegrid aus Hagen (Krautz) das Neoliberale. Ein mörderischer, zum Teil komischer Kampf um Stimmen beginnt. Die Politik neigt zur Obstruktion, der Mob wird mobilisiert. Es mutet hier fast an wie: Arme junge, irregeleitete Glatzen, sie können nicht anders, die Umstände sind halt so! Fremde müssen zuerst dran glauben. Aber auch Herr Arbeit (Thümer) wird zum Opfer. Und der Dachs? Eine Schimäre. Und die Lösung? Geld für alle! Nieder mit den Kapitalisten!

("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.09.2015)

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