Katharina Lorenz: "Sie ist nicht nur unschuldig"

Katharina Lorenz
Katharina Lorenz(c) Michaela Bruckberger
  • Drucken

Sie spielt an der Seite von Tobias Moretti und Gert Voss ab Herbst das Gretchen in der Burg. Warum sie als Kind oft in der Kirche war, mit 16 zu jung für das Theater war und Wien ziemlich klein findet.

Also wie halten Sie es mit der Religion?

Katharina Lorenz: So klassisch? Ja, da gibt es eine Beziehung. In meiner Kindheit in Leverkusen ging ich oft in die Kirche, meine Eltern nie. Ich ging meist alleine in die Abendmesse. Der Pfarrer fragte mich einmal, warum ich nicht in die Kindermesse käme, aber ich mochte den Abend lieber: Da war es dunkler, geheimnisvoller, schöner. Ich mochte das, auch die Kirchengebäude und...

...das Theatralische, das Inszenieren?

Vielleicht auch. Aber es war der Ort, der mich verzauberte. Meine Großmutter hat auch immer mit mir gebetet.

Stand der Glaube im Vordergrund oder das Ritual?

Das ganze Prozedere.

Hätte dieses Gefühl jede Religion oder religiöse Richtung bei Ihnen ausgelöst? Die evangelischen Kirchen etwa sind nie so düster.

Stimmt, katholische Kirchen lösen dieses Gefühl stärker aus. Aber ich gehe heute noch gerne in Kirchen. Aber vielleicht war das wirklich meine Großmutter, die mir einmal sagte, dass ihr der Glaube an Gott hilft, etwa bei Schicksalsschlägen.

Ihnen?

Der Glaube an Gott? Nein, ich glaube eher an eine Kraft, die das ist.

Muss man sich mit Religion beschäftigen, um das Gretchen zu spielen?

Auch. Ich beschäftige mich damit. Aber jetzt kämpfe ich damit, mich der Figur zu nähern und sie zu besetzen. Das ist nicht so leicht.

Weil sie so unschuldig ist?

Das ist sie eben nicht, sie ist nicht nur unschuldig. Sie hat ihre eigene Welt und ein Selbstbewusstsein. Sie ist sicher nicht nur das Opfer. Wenn sie sagt, dass sie mit Schmuck ganz anders dreinschaut. Dass, wenn man Geld hat, auch andere Möglichkeiten kommen. Da bin ich mir nicht so sicher, ob sie das wirklich so toll findet. Es ist schwierig, sich so eine junge Figur zu eigen zu machen.

Ist das nicht ein logischer Wunsch einer jungen Schauspielerin, einmal das Gretchen zu spielen?

Nein, das war nie mein Wunsch. Es hat nie Rollen gegeben, die ich unbedingt spielen möchte.

Überhaupt keine? Auch nicht die Julia, die Nora, Emilia Galotti?

Nein, ich habe auch gerne Jungs gespielt, etwa den Absyrtos (in „Mamma Medea“ von Tom Lanoye, Anm.) am Staatstheater Hannover. Später die Viola in „Was ihr wollt“. Ich suche bei Frauenrollen vermutlich immer die Kraftquellen, die sie antreiben. Mich fasziniert das, was sie sich trauen, für was sie sich überwinden. Nun suche ich das eben im Gretchen. Nur die Geschichte, alter Mann verführt junge Frau, finde ich uninteressant zu erzählen. Das wäre mir zu einfach.

Für das Gretchen gab es doch immer mehr oder weniger feministische Deutungen, etwa Verherrlichung einer Vergewaltigung.

Das ist die Stärke an „Faust“, man kann es immer anders und neu interpretieren. Es gab da eine Inszenierung, in der Faust nur noch stotterte und vor sich hin brabbelte, weil er seine Kultur völlig verloren hat. Jeder sucht sich seine Vision.

Haben Sie die Ihre gefunden?

Nein, ich denke noch nicht, aber ich blieb bei den Proben in der Rolle schon einmal wie angewurzelt stehen.

Tobias Moretti ist als Faust kleiner als Sie, nicht?

Wirklich? Nein, das stimmt nicht. Ich wirke nur größer, als ich bin.

Das war ein schöner Satz.

Im Ernst: Das ist völlig egal. Es müsste auch funktionieren, wenn er drei Köpfe kleiner wäre.

Aber einen Bühnenpartner muss man sich als Schauspielerin schöndenken oder schönspielen, um die Liebe darstellen zu können, nicht?

Ich habe mit Moretti schon gespielt. Wir treffen uns oft im Humor. In den Pausen scherzen wir, ich denke mir, so ähnlich verliebt man sich ja auch. Als ich mich früher verliebt habe, ist da viel Humor dabei gewesen. Wie heißt das hier? Witz oder Schmäh?

Ja, Schmäh. Das ist aber mehr als Humor.

Eine Rolle darf aber eben nie theoretisch sein, sondern muss aus dem Bauch kommen.

Spielt man das Gretchen in Wien anders als etwa in Berlin? Wegen des Umfelds und der Kollegen.

Also ich arbeite hier genau so wie überall. Der Standort hat keinen Einfluss, die Kollegen nehmen natürlich Einfluss, aber die arbeiten auch überall gleich. Ich gehe hier genau so an die Sache heran, wie überall: Indem ich versuche, mir eine Figur zu eigen zu machen. Da bin ich dann auch sehr oft unzufrieden: Wie kann man die Rolle spielen, ohne etwas zu verlieren? Wie die Leute wirklich erreichen? Das beschäftigt mich. Ich war etwa vor Kurzem bei einer Vorstellung, in der ich wirklich längere Zeit gefangen war. Das zu erreichen, daran verzweifelt man als Schauspieler.

Gehen Sie überhaupt viel ins Theater?

Früher häufiger, aufgrund der vielen Proben und Reisen nicht mehr so oft. Aber das ist das Beste und Schwierigste zugleich: sich in einem Theaterstück zu verlieren. Im Gegensatz dazu gibt es Stücke, die schön gespielt und toll gesprochen sind, aber merkwürdig kühl bleiben.

Sie wollten schon sehr früh Schauspielerin werden. War das familiär oder die gleiche Liebe zur große Geste wie in der Kirche?

Schon mit 16 sprach ich das erste Mal vor, wurde aber nicht genommen. Aber es war wohl die Familie: Der Vater ist Maler, meine Mutter war in einer Laienspielgruppe, da durfte ich eine kleine Nebenrolle übernehmen.

Ihre Familie lebt jetzt noch in Leverkusen, Sie wohnten zuletzt in Berlin, zurzeit in Wien. Fühlt man sich noch irgendwo zu Hause?

In Berlin habe ich mich schon ein bisschen zu Hause gefühlt, auch durch die Freunde.

Sind Ihre Eltern eigentlich stolz, dass Sie in Wien das Gretchen spielen?

Ja, vor allem meine Großmutter, die mir sehr zugeredet hat, das zu machen.

Finden Ihre Freunde das Engagement gut? Dass Sie mit Gert Voss spielen?

Ja, den habe ich einmal sehr verehrt.

Achtung, das klingt, als würden Sie ihn nicht mehr verehren.

Stimmt. In der Schauspielschule war das ein weit entfernter Star, heute ist er ein verehrter Kollege.

Schauspieler sind ausschließlich mit Schauspielern befreundet: Ist das ein Klischee?

Natürlich sind viele meiner Freunde am Theater, aber in Wien kenn ich etwa auch einige andere Leute, mit denen ich die wenige Freizeit verbringe. Ich war nie so voll in der Schauspielerszene mit ihrem Tratsch und ihren Gerüchten.

Sind Sie auf Facebook?

Nein, das ist mir unheimlich.

Wie lebt es sich überhaupt in Wien nach Berlin?

Schön. Es ist recht überschaubar, kommt mir vor. Ich bin etwa bei vielen Terminen viel zu früh gewesen, weil ich die Strecken immer überschätze. Jetzt fahre ich manchmal kleine Umwege. Aber dieses Kleine macht mir auch ein bisschen Unbehagen.

Das hängt auch ein wenig damit zusammen, dass die für Sie wichtigen Adressen sehr eng beieinander liegen.

Das kann schon stimmen. Und noch etwas: Manchmal hat man schon das Gefühl, in einem Museum zu sein.

Dafür muss man sonst Eintritt zahlen. Bemerken Sie den enorm hohen Stellenwert, den das Burgtheater hier hat?

Das stimmt, hier wissen sogar Taxifahrer, wo was gespielt wird und wo man besser nicht hingeht.

Werden Sie erkannt in Wien?

Nein, nirgendwo. Nicht einmal in Berlin, wo ich länger war. Aber das ist zum einen wohl auch in Deutschland anders als in Österreich, und zum anderen ist mir das, ehrlich gesagt, völlig egal.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 31.05.2009)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.