Wien: Das Bühnenpersonal probt den Aufstand

Das Ronacher ist neben dem Theater an der Wien und dem Raimundtheater eines der Häuser der Vereinigten Bühnen.
Das Ronacher ist neben dem Theater an der Wien und dem Raimundtheater eines der Häuser der Vereinigten Bühnen.(c) Die Presse (Clemens Fabry)
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Die Arbeiterkammer verhandelt Klagen ehemaliger Mitarbeiter gegen die Vereinigten Bühnen Wien. Die prekären Bedingungen sind dem Betrieb lang bewusst, nach zähen Verhandlungen soll es nun ab 2016 einen neuen Kollektivvertrag geben.

Die Saison der Vereinigten Bühnen Wien (VBW) hat gerade wieder gestartet, das Theater an der Wien feiert seinen zehnten Geburtstag – hinter den Kulissen ist die Stimmung aber nicht besonders ausgelassen. Ein Teil der Belegschaft probt den Aufstand.

Grund dafür sind die Klagen zweier ehemaliger Mitarbeiter gegen den Betrieb, die gerade von der Arbeiterkammer verhandelt werden. Die beiden waren bis 2014 als sogenannte Tagesaushelfer beschäftigt.

Der Begriff „Tagesaushelfer“ suggeriert, dass diese nur ab und zu arbeiten – so war das ursprünglich, als diese Form 1987 eingeführt wurde, wohl auch gedacht. Heute sind von den insgesamt 404 Technikangestellten der VBW 42 derart beschäftigt, die meisten sind Frauen. Sie haben eine Sechstagewoche und werden nur nach geleisteten Stunden bezahlt. Den Dienstplan für die nächste Woche bekommen sie immer Freitag bis 17 Uhr: Kernarbeitszeit ist zwischen 7.30 und 23 Uhr – bis der Plan da ist, können die Mitarbeiter de facto nichts für die nächste Woche planen, was Nebentätigkeit und geregeltes Privatleben erschwert. Der einzige freie Tag ist selten an einem Wochenende, sondern im Raimund und Ronacher meist am vorstellungsfreien Montag.

Im Kollektivvertrag steht zwar, dass auf dem Dienstzettel zumindest eine Mindestarbeitszeit festgehalten werden muss – in der Praxis sei das allerdings kaum der Fall, berichten Mitarbeiter der „Presse“. Das heißt, wenn einmal weniger zu tun ist – oder gar nichts wie im Sommer –, verdient ein Arbeiter weniger. Um dem entgegenzuwirken, sind Mitarbeiter dazu angehalten, fast ihren gesamten Urlaub im Sommer zu konsumieren. Ohne die Festschreibung der Mindestarbeitszeit könnte man einen Mitarbeiter theoretisch leicht loswerden, indem man ihn nicht mehr einteilt und ihm so den Geldhahn zudreht. Andererseits ist aber auch keine Höchstarbeitszeit festgeschrieben. „Wir haben Probleme in beide Richtungen: Die einen haben manchmal zu wenig zu tun, andere brennen sich aus“, erzählt ein Tagesaushelfer, der anonym bleiben möchte, weil er fürchtet, sonst seinen Job zu verlieren. Experten meinen, dass in dieser Arbeitsvertragsgestaltung eine verbotene Arbeit auf Abruf zu sehen sein könnte.

Der Gruppe der Tagesaushelfer stehen die Fixangestellten gegenüber. Diese haben laut aktuellem Kollektivvertrag die Möglichkeit, sich den Fixlohn mit Nebengebühren aufzubessern. So wird etwa eine Prämie von 124,56 € gezahlt, wenn vor 7.30 Uhr der Dienst begonnen und danach während der Normalarbeitszeit weitergearbeitet wird. Dazu erhalten die Mitarbeiter in diesem Fall noch Nachtzuschläge (dreifacher Normalstundenlohn) – und als Sahnehäubchen eine weitere Prämie von rund 15,96 € pro angefangener Stunde für die Nachtruhezeitverkürzung. Ein durchschnittlicher Mitarbeiter in der Technik, der um 6.30 Uhr beginnt, erhält somit für die erste Stunde knapp 190 Euro Stundenlohn.

Zähe Verhandlungen. Wie in einem Stadtrechnungshofbericht erwähnt, wurde 2013 die Möglichkeit geschaffen, Nebengebühren pauschal abzugelten, was viele Mitarbeiter auch annahmen. Für Neueintritte wurden aber viele Nebengebühren gestrichen. Die Situation der Tagesaushelfer verschlechterte sich erneut. „Wir arbeiten hier in einer Zweiklassengesellschaft und hoffen, dass die Kollegen den Prozess gewinnen“, sagt ein Mitarbeiter. Auch Betriebsrat Karl Schmid hofft auf einen Sieg: „Wir wollten selbst klagen. Die beiden kamen uns zuvor, und wir unterstützen sie.“ Die prekären Arbeitsverhältnisse seien lange bekannt, es seien im Lauf der Jahre auch immer mehr Tagesaushelfer geworden, die immer mehr arbeiten – so sei das nie gedacht gewesen.
Gegen diese Aussage wehrt sich Direktor Thomas Drozda, der seit 2008 im Amt ist: „Die Zahl der Tagesaushelfer ist produktionsabhängig und im Schnitt gleich geblieben.“ Für die Jahre 2011 bis 2015 trifft das auch tatsächlich zu.

Obwohl die Bedingungen laut Schmid „prekär“ sind und „das seit Jahren bekannt“ ist und obwohl es im Kollektivvertrag §24/2 heißt, „Die Arbeitszeit für Tagesaushelfer wird vertraglich vereinbart“, was in der Praxis kaum gemacht wird – und sowohl Gewerkschaft wie auch Betriebsrat bestätigen, davon gewusst zu haben, kam es zu weiteren Beschäftigungen von Tagesaushelfern. Klagen und Klagsandrohungen der Mitarbeiter und die damit aufkeimende Unruhe im Team haben nun wohl Bewegung in die festgefahrene Situation gebracht: Nachdem jahrelang sämtliche kollektivvertraglichen Verhandlungen laut Schmid an „der Geschäftsführung gescheitert sind“, soll nun mit 1. Jänner 2016 ein Vertrag für alle Neueintretenden vorliegen. Jene rund 50 Mitarbeiter, die derzeit als Tagesaushelfer geführt werden, sollen unter diesen Bedingungen Anstellungen angeboten bekommen. Sie bekämen dann eine Fünf-Tage-Woche sowie ein fixes Gehalt. Man wolle in der neuen Gehaltsstruktur die niedrigen Gehälter stärken, bei den mittleren und oberen sparen – dafür gibt es für Neue keine Nebengebühren mehr, erklärt Drozda.

Die Behauptung, dass Verhandlungen in der Vergangenheit an ihm gescheitert seien, will er nicht auf sich sitzen lassen: „Nachdem der Kollektivvertrag erst zwei Jahre vor meinem Amtsantritt 2008 neu verhandelt worden war, war die Bereitschaft des Betriebsrates zu erneuten weitreichenden Änderungen für mich nachvollziehbar enden wollend. Ich war immer für einen neuen KV für alle Neueintretenden.“

Auch der Aufsichtsrat Gerhard Weis, einst ORF-Generaldirektor, bestätigt, dass die Geschäftsführung stets um einen fairen Kollektivvertrag für die Tagesaushelfer bemüht war.
Die Verhandlungen seien zäh gewesen, mit dem Entwurf sei er jetzt aber sehr zufrieden. Zu den 50 Tagesaushelfern sollen ab Jänner weitere 50 Mitarbeiter kommen: Die Verträge mit der Sicherheitsfirma wurden gekündigt. Künftig wollen die VBW den Publikumsdienst selbst übernehmen und die neuen Mitarbeiter als Vorstellungsaushelfer beschäftigen.

Erhöhte Subventionen. Möglich machen die Anstellungen laut Drozda die erhöhten Subventionen von 4,9 Mio. Euro für die nächsten drei Jahre, die 2014 wirksam wurden. Insgesamt wurden die VBW 2015 mit 42 Mio. Euro subventioniert. „Das war notwendig, weil so kann man planen, und wir konnten uns in den KV-Verhandlungen besser bewegen.“ Die Subventionierungen der VBW, die über die Wien-Holding fast zur Gänze der Stadt Wien gehören, sorgen immer wieder für Kritik: Zwar entspricht das Budget dem Förderungsniveau von 2008, das damals sukzessiv gesenkt wurde – allerdings ist das auch fast die Hälfte jener 85 Mio. Euro, die die Stadt insgesamt für darstellende Kunst vergibt.

Der neue Kollektivvertrag soll bald dem Personal vorgestellt werden. Jubel macht sich unter den Tagesaushelfern noch immer nicht breit: „Das versprechen sie uns seit Jahren, dann klappt wieder etwas nicht“, sagen zwei Mitarbeiter zur „Presse am Sonntag“. Dass alles unter Dach und Fach ist, sieht auch Thomas Dürrer von der zuständigen Gewerkschaft der Gemeindebediensteten ein bisschen anders. „Es stimmt, dass wir in der Vergangenheit schon verschiedene Entwürfe hatten. Noch ist nichts unterschrieben, wir sind aber bisher zuversichtlich.“

Steckbrief

Thomas Drozda wurde 1965 in Oberösterreich geboren. Er ist seit 2008 Generaldirektor der VBW. Zuvor war er als kaufmännischer Direktor bei der Burgtheater GesmbH tätig. Im Kabinett von Bundeskanzler Franz Vranitzky war er auch für Budget und Finanzen zuständig.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 04.10.2015)

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