Akademietheater: "Die Präsidentinnen" sind wirklich nicht ohne

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David Bösch inszeniert das 25 Jahre alte Stück des früh verstorbenen, kraft-genialischen Werner Schwab: Drei fantastische Schauspielerinnen und ein Bühnenbild von barocker Tristesse machen dieses Fäkaliendrama zum Genuss.

Solch eine hässliche Wohnung muss man sich erst einmal ausdenken. Bühnenbildner Patrick Bannwart hat im Akademietheater für „Die Präsidentinnen“ des mit 36 Jahren am Neujahrsmorgen 1994 dem Alkohol erlegenen steirischen Dichters Werner Schwab ganze Arbeit geleistet und eine schäbige, absurd hohe Schachtel auf die Bühne gestellt. Ein Zimmer voller Müll, eine verkommene Welt. Vorn links im Offenen befindet sich der Abort, die Seitenwände sind mit Fotos und Sprüchen wie für einen Reliquienschrein geschmückt, man meint auch, Porträts von Schwab zu erkennen.

Im Hintergrund steht im Halbdunkel eine große Marienstatue. Allein die Ausstattung dieser prächtigen Inszenierung von David Bösch, die am Samstag Premiere hatte, ist ein Kunstwerk. Die Regie hält sich mit Mätzchen klug zurück. Das lässt die Bilder und die Sprache umso stärker wirken. Nach einem verhaltenen, noch suchenden Beginn entwickelt sich der rund hundert Minuten lange Abend furios. Langer, starker Applaus.

Waldheim-Porträt über „Fuck Mother“

Das Aufregende dieser Substandard-Wohnung ist die Rückwand: In großen schwarzen Lettern steht dort „Fuck Mother“, das k ist zum Teil von einem Kreuz überdeckt. Hoch oben darüber, auf geschätzten fünf bis sechs Metern, ist ein gerahmtes Foto von Kurt Waldheim angebracht, wie man es aus Schulen und Ämtern kennt. Er war Bundespräsident, als das Stück 1990 im Künstlerhaus in Wien uraufgeführt wurde – damals ein kleiner Skandal, denn oberflächlich gesehen legte sich der anarchische Schwab in derber Form mit Mutter und Kirche und Staat an. Tiefer drinnen aber ist dieser barocke Text, der dem Autor nach langer Missachtung ersten Ruhm brachte, reine Verzweiflung, ein Hilfeschrei die irre Mischung aus derber und gekünstelter Sprache. Auch die hier präsentierte Wohnung der Mindest-Pensionistin Erna (Regina Fritsch) sollte man nicht bloß als Naturalismus interpretieren, sondern als Ausdruck ungezügelter Fantasie eines Dramatiker-Punks, der mit seiner proletarischen Herkunft abrechnet.

Zur Handlung: Erna hat die Pensionistin Grete (Barbara Petritsch) und die offenbar leicht zurückgebliebene Mariedl (Stefanie Dvorak) eingeladen, um den Erwerb eines gebrauchten Fernsehers zu feiern. Eine seltsame Trinität an Frauen hat sich hier um einen billigen Tisch mit alten Sesseln versammelt. Erna trägt eine Pelzmütze, die sie aus dem Müll gefischt hat. Sie hebt an mit einem Lob der Sparsamkeit und Sittlichkeit, das bald in der Sorge um den stets betrunkenen Sohn Hermann und der Verehrung für den Fleischhauer Wottila mit seinem preiswerten Leberkäse mündet. Unterbrochen wird sie stets von der lüsternen Grete, die mit falschem Schmuck behängt ist wie ein Christbaum. Ihr Fetisch ist das (abwesende) Hündchen. Wir erfahren, dass Grete von ihrem Mann wegen einer Jüngeren verlassen wurde, zuvor hatte er die Tochter missbraucht. Diese ist längst weg, nach Australien ausgewandert, und will keinen Kontakt. Angeblich ist Grete „eine Lustige“. Doch sie muss vor allem schicksalsergeben sein.

Bald gehen die beiden um das Wort konkurrierenden Frauen auch physisch auf Konfrontation, während sich die Dritte noch zurückhält. Mariedls Aufgabe ist es erst, die TV-Antenne hochzuhalten, denn der Empfang ist schlecht. Wie eine Freiheitsstatue steht sie da, oder eine Johanna von Orleans, die mit erhobenem Schwert zum Kampf ruft. Zugleich sieht sie in ihrer verdreckten rosa Unterwäsche und den klobigen Schuhen bemitleidenswert aus, das ideale Opfer für die zwei anderen, die in ihrem Fall ungestraft dominant sein können. Mariedl rühmt sich nur einer Könnerschaft. Als Klofrau graust es ihr vor gar nichts. Sie „macht's auch ohne“, greift ohne Gummihandschuhe in die Muschel, um Verstopfungen zu beseitigen.

Machtfantasien der Unterdrückten

Diese Fertigkeit wird schließlich als Machtfantasie ausgelebt, als Triumph der Illusion, so wie sich Erna Enkel vom versoffenen Sohn und Gemeinsamkeit mit ihrem bigotten polnischen Ersatz-Papst Wottila wünscht, so wie sich Grete Ehe und Sex mit einem analfixierten Tubaspieler erträumt. Die Frauen geraten wegen ihrer Tagträume unweigerlich ins Streiten. Wie das im Akademietheater erfolgt, ist hohe Kunst. Die Schauspielerinnen versuchen erst gar nicht, ins tief Steirische zu verfallen. Fritsch entwickelt eine gefährlich rollende, fast exotisch-bayerische Kunstsprache. Jeder Ton sitzt. Petritsch macht's sowohl etwas nobler als auch derber und schriller, sie beherrscht die Höhen und Tiefen von Niedertracht und Sehnsucht. Bei beiden aber spürt man stets Gewaltbereitschaft, sie deuten sie auch in vielen Details an, die sich vor allem gegen Mariedl richten.

Als marianische Figur nimmt diese alles Leid und allen Schmutz der Welt auf sich, bis sie am Ende der zweiten Szene, dem erträumten ländlichen Fest, zur triumphierenden Märtyrerin wird. Da steht sie dann auf dem Tisch unter einer Neonlampe, die wie ein Heiligenschein wirkt, prophetisch, bereit zum Schlachten, zum finalen Ave Maria. Blut fließt von der Wand. Dvorak entwickelt ihre Rolle einmalig. Das Komödiantische, das betonen könnte, wer es sich leicht macht, dient hier zur subtilen Vorbereitung einer wirklich traurigen Geschichte. Diese Mariedl ist echt bejammernswert. Der wilde Schwab hätte sicherlich heimlich wegen ihr geweint.

Nächste Termine im Akademietheater: 15., 20., 22., 31. Oktober, 2., 3., 7., 13. und 15. November (jeweils 19.30 h).

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.10.2015)

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