Josefstadt: Fräulein Julie, diesmal eine Schmerzensreiche

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Anna Bergmann dreht bei ihrer Inszenierung von August Strindbergs Klassiker die Verhältnisse um: Ältere Adelige vernascht jungen Diener. Es kommt auch hier zur Tragödie, allerdings ist die böse Köchin daran schuld.

Ein „naturalistisches Trauerspiel“ hat August Strindberg seinen Einakter „Fräulein Julie“ genannt, der 1889 uraufgeführt und dessen Handlung damals noch als Skandal empfunden wurde: Junges adeliges Fräulein verführt in der Mittsommernacht den älteren Diener. Dieser erniedrigt sie danach, stiftet sie zum Diebstahl an ihrem Vater an, für die gemeinsame Flucht. Doch als der Herr zurückkehrt, zieht der Diener sofort zurück, und das Mädchen begeht Selbstmord, wohl aus Verzweiflung.

Was macht die junge Regisseurin Anna Bergmann aus diesem alten Paradestück des Naturalismus, das am Dienstag im Theater in der Josefstadt Premiere hatte? Eine bizarre Show von 80 Minuten, die zu Beginn bildmächtig überzeugt, dann aber vor lauter Lust an der Überdrehung die Wucht verliert: Julie (Sona MacDonald) ist eine ältere, hexenhafte Adelige, die dem jungen, schmierigen Diener Jean (Florian Teichtmeister) den Kopf verdreht. Beide gehen recht drastisch und sexuell explizit zur Sache, sie turnen sich durch die Szenen. Julie singt gelegentlich rockig bis punkig. Man könnte sich doch arrangieren in diesem Verhältnis, oder? Nein! Am Schluss stirbt nicht das Fräulein, sondern der Diener. Er wird von der Köchin Kristine (Bea Brocks) vergiftet, die nicht, wie meist üblich, frömmlerisch und eifersüchtig, sondern als hexenhafte Variante zu Julie erscheint. Beide tragen phasenweise rote Perücken.

Wie ein Stummfilm mit Thrillermusik

Recht viel Verfremdung also, zu der Jan Plewka als singender, tanzender Vogelmann ebenfalls beiträgt. Der beste Einfall kommt der Regie gleich zu Beginn. Hinter Glas sieht man auf der von Katharina Faltner gestalteten Bühne die Küche, in der das Stück spielt. Wie sich bald herausstellt, ist es ein drehbarer Guckkasten. Der Hit darin: ein großer Käfig mit beeindruckender, teuflischer Krähe. Erst dient der Bau, auf vergilbt getrimmt, als Projektionsfläche wie fürs Kino: Kein Wort fällt, stattdessen erklingt bedrohlich Thrillermusik (Hannes Gwisdek) wie bei Großmeister Alfred Hitchcock. Gespielt wird eine Art Stummfilm mit übertriebenen Gesten. Über der Küche sind Dialoge als Übertitel zu sehen. Zur Exaltiertheit trägt auch das Augenspiel bei. Kristine und der Vogelmann tragen Kontaktlinsen, die sie unheimlich erscheinen lassen, Julie hat eine dunkle Sonnenbrille. Der Diener will der Köchin an die Wäsche, die junge Herrin beobachtet, überrascht sie. Die Glaswand vorn hebt sich, ab jetzt hört man Fragmente vom Strindberg-Text. Julie trägt Kristine auf, Gift für ihre Hündin zu mischen, rasch kommt es zu Zudringlichkeiten mit dem Diener. Für eine kurze Sommernacht sind Standesschranken aufgehoben. Das erinnert an das Original. Sonst nicht viel.

Geritzte Haut unterm blauen Pelz

Wenn die Protagonisten nicht gerade schräg singen, bevorzugen sie einen expressionistischen Stil. So wird weit ausholend der Vogel geköpft. Ja, auch Symbolismus darf sein, mit Seilen, Schaukel, Sternenhimmel, surrealen Szenen. Jean muss Julie den Schuh küssen, er leckt ihn ab, fährt mit der Zunge höher hinauf. Julie revanchiert sich später mit Oralverkehr, die anschließende Sexszene ist recht explizit.

Die stärkste Entblößung offenbart dieses Fräulein, das reif aussieht, aber pubertär handelt, als es seinen blauen Pelzmantel abstreift. Überall am Körper hat sich Julie geritzt. „Anxious“ steht auf dem Rücken, „Vergessen“ auf dem Arm, auch ein paar geschickt platzierte Vulgaritäten gibt es. Man könnte sagen, das ist symptomatisch für dieses überladene Kammerspiel, das weniger auf den Text als auf Effekt vertraut. Vom beherzten Ensemble wird es allerdings kraftvoll, mit vollem physischen Einsatz, auf die Bühne gebracht – Leidenschaft und Aggression bei MacDonald, kühle Berechnung bei Teichtmeister, Mysteriöses bei Brocks und Plewka. Für solch kurze Zeit reicht das dann auch.

Die nächsten Termine im Theater in der Josefstadt: 9., 12., 13., 15., 24., 26. und 27. Oktober sowie 4. , 5., 9., 10., und 21. November um 19.30 Uhr, am 25. Oktober und 22. November um 15 und um 19.30 Uhr.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2015)

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